Die Puppenspieler
auch viele Städte in sich zu vereinigen, und alle waren widerspruchsvoll – inmitten eines Straßenzugs armseliger, zum Teil schon verfallener Häuser konnte ein prunkvoller Palazzo auftauchen, und neben einer Kirche standen unbeachtet die Überreste eines antiken Tempels. Wenn etwas Rom kennzeichnete, dann war es wohl das Wort ›Überreste‹; er hatte noch nie so viele Ruinen gesehen, soviel Schutt, und beileibe nicht nur von antiken Bauwerken, sondern auch von Häusern, die wegen ihrer Baufälligkeit längst verlassen, jedoch nie abgerissen worden waren. Man ließ sie einfach einstürzen, und die Nachbarn holten sich, was sie an Steinen und Holz gebrauchen konnten.
Auch der ganz gewöhnliche Straßendreck ließ sich mit Florenz nicht vergleichen, noch nicht einmal mit Augsburg: Richard vermutete, daß der Abfall, den die Römer ohne jede Vorsichtsmaßnahme vor ihren Häusern auf die Straße kippten, eine ideale Brutstätte für allerlei Ungeziefer darstellte. Wenn er jemals eine schmutzige und vom Verfall gekennzeichnete Stadt erlebt hatte, dann war es Rom.
Und doch …
Das Kolosseum, die Triumphbögen, die Säulen mit ihren ionischen, dorischen oder korinthischen Kapitellen, der ägyptische Obelisk, der plötzlich vor ihm auftauchte – er konnte nicht anders, als dem Zauber der Vergangenheit erliegen, der hier so stark war wie in keiner anderen Stadt.
Nur daß er nicht hier war, um ehrfürchtig römische Bauwerke zu bewundern, dachte Richard und empfand erneut die Mischung aus Groll und Zuneigung, die Jakob stets in ihm auslöste. Er war hier, weil Jakob ihn halb überredet, halb bestochen hatte, in Rom für das Unternehmen zu arbeiten. Natürlich hatte er sofort nach seiner Ankunft versucht, im Vatikan Jakobs Brief über Heinrich Institoris loszuwerden, mußte aber die Erfahrung machen, daß dergleichen zur Zeit unmöglich war. Eine Anzeige gegen einen Inquisitor konnte nur vom Papst entgegengenommen werden, und der Papst lag im Sterben. Man erzählte sich, und in seinem ersten Brief nach Augsburg gab Richard diese Gerüchte in verärgerter Ausführlichkeit weiter, daß er nur noch von menschlicher Muttermilch ernährt werden konnte, daß sein jüdischer Leibarzt ihn mit dem Blut dreier zehnjähriger Kinder behandele, daß ihn nur noch ein Horn vom Einhorn heilen könne – kurz, das Geschwätz in der Stadt kannte keine Grenzen. Und der gesamte kirchliche Verwaltungsapparat stand so gut wie still, wartete, wartete auf seinen neuen Gebieter.
Richard wußte nicht, ob Heinrich Institoris tatsächlich Ablässe gefälscht hatte, und traute Jakob durchaus zu, eine derartige Anschuldigung fingiert zu haben, aber das war ihm gleichgültig. Es zählte nur, daß man dem Inquisitor die Fälschungen nachweisen konnte. Richard hätte sich nie träumen lassen, einmal in der Lage zu sein, dem Mann, der seine Mutter verbrannt hatte, durch etwas anderes als durch ein Buch einen Schlag zu versetzen, aber nachdem ihm Jakob einmal das Instrument dazu in die Hand gegeben hatte, saß der Wunsch nach Rache wie ein Stachel in seinem Fleisch.
Während er also auf den Tod des Papstes wartete, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich mit den römischen Gegebenheiten vertraut zu machen. Johannes Zink war anders als der bärbeißige Eberding, ein wendiger, listiger kleiner Mann, für Richards Geschmack fast zu geschmeidig. Da Zinks eigentliche Aufgabe die Pfründenvermittlung und das Ablaßgeschäft war, fühlte er sich durch Richards Interesse für Goldschmiede, Bildhauer, Maler, Bücher und antike Kunstgegenstände nicht im geringsten gestört. Im Gegenteil, er begrüßte es, daß ihm jemand neue Möglichkeiten eröffnete, ohne ihm weitere Arbeit aufzuhalsen.
»Es stimmt schon, die Kardinäle legen in der letzten Zeit immer mehr Wert darauf, ein paar Statuen und Gemälde ihr eigen nennen zu können«, sagte er, nachdem er Richards Erörterungen aufmerksam gelauscht hatte, »seit Kardinal Piccolomini damit angefangen hat, ist es in Mode gekommen, und schließlich will sich keiner vom anderen ausstechen lassen. Doch ich fand einfach nicht die Zeit, um mich damit zu beschäftigen. Und um ehrlich zu sein, mir fehlt auch der Blick, um unter diesem ganzen Gerümpel etwas Reizvolles auswählen zu können.«
Die Schwierigkeit für Nichtrömer in Rom, insbesondere aber für Neuankömmlinge, lag darin, daß die Mächtigen und Reichen, wie auch die Kirchenfürsten, anders als in Florenz, keine Kaufleute waren, sondern samt und sonders
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