Die Puppenspieler
inne, weil ihm mehr und mehr seine eigene Rolle bewußt wurde: ein selbstsüchtiger Narr. Richard Artzt, der Retter der Hexen. Hatte er wirklich ernsthaft geglaubt, daß noch so raffinierte Argumente einen Freispruch erwirken würden? Bei Männern, die fest entschlossen waren, Saviya zu verurteilen? Oh, er hatte mit Widerstand gerechnet, doch um so besser, dann würde der Prozeß andauern, bis der Papst wieder zurück war. Und was genau hatte er vom Papst erwartet? Alexander konnte sich keinen weiteren Skandal mehr leisten, nicht nach der Sforza-Affäre. Es war wahrscheinlich, daß man Saviya einfach verschwinden ließ.
Und wenn nicht, wie sollte er Kardinal Orsini davon abhalten, schließlich die Folter zu befehlen? Saviya mochte in ihrem Leben schon manches ertragen haben, aber niemand widerstand auf Dauer der Folter.
Er mußte Saviya das Leben retten, und er mußte Mario das Leben retten. Beiden, irgendwie.
Schließlich suchte er noch einmal die Königin auf. Sie hörte sich seinen verzweifelten Plan eines Gefängnisausbruchs an und schüttelte dann energisch den Kopf.
»Auf gar keinen Fall. Mir liegt an der Kleinen, aber nicht so sehr, daß ich uns alle gefährden würde. Selbst angenommen, es gelingt Euch, mit ihr aus diesem gutbewachten Gefängnis wieder heraus und in die Katakomben zu entkommen – was ich bezweifle –, wißt Ihr, was dann geschehen würde? Die Orsini sind nicht dumm, und Fabio Orsini kann zwei und zwei zusammenzählen. Zahllose Wachen würden die Katakomben durchsuchen, unsere Verstecke wären zum Teufel, und unsere Geheimnisse für die nächsten zehn Jahre auch. Nein, Riccardo. Tut mir leid.«
Er schwieg, musterte die Frau, die über ein Reich von Menschen herrschte, von denen selbst die Kinder sie ohne weiteres umbringen konnten. Er spürte, daß sie genau wußte, woran er eben gedacht hatte.
»Wie weit reichen die unterirdischen Gänge?« fragte er abrupt.
»Warum wollt Ihr das wissen?« fragte sie mit ihrer unwirklich jugendlichen Stimme zurück, in der sich Anmut mit Drohung mischten.
»Ich möchte wissen, ob Ihr mir helfen könnt, unbemerkt die Stadt zu verlassen.«
»Hmmm«, sie summte leise, »möglich. Die Gänge reichen so weit, aber die äußersten Enden sind vielfach eingestürzt und werden eigentlich nie benützt. Dennoch, Ihr könnt es versuchen. Ich gebe Euch einen Führer mit.«
»Danke. Und dazu brauche ich noch einen Doppelgänger.«
»Einen Doppelgänger?« fragte die Königin, zum ersten Mal ein wenig verblüfft.
»Jemand, der sich für mich ausgibt, jeden Tag Saviya besucht und sich im Handelshof blicken läßt. Er braucht sich innerhalb des Fondacos nur für gewisse Leute sehen zu lassen, die den Hof beobachten, ebenso wie das Gefängnis. Dazu müssen wir natürlich die Kleider tauschen. Wenn ich Erfolg habe, bin ich ohnehin bald wieder zurück. Der Prozeß beginnt bereits übermorgen, und dann nützt ein Doppelgänger nichts mehr.«
»Und wenn Ihr keinen Erfolg habt?«
»Dann werde ich wahrscheinlich als Leiche im Tiber verschwinden, und Ihr braucht Euch ebenfalls keine Sorgen mehr zu machen.«
»Wie beruhigend«, sagte die Königin trocken.
41
D ER FEUCHTE M ODERGERUCH war so beherrschend, daß Richard sich fragte, wie alt der Abschnitt des Ganges wohl war, durch den sie sich kämpften. Mehr als einmal hatten sie Erde und Felsbrocken beiseite räumen müssen; dabei war er sogar auf einen römischen Sesterz gestoßen. Er hatte nicht die Zeit gehabt, sich die Inschrift näher anzusehen, doch er hielt das Silberstück in seiner Hand, während er dem Mann folgte, den die Königin beauftragt hatte, ihn zu führen, und die runde, harte Form, die sich gegen das Innere seiner Hand abzeichnete, gab ihm die Gewißheit, nicht zu träumen.
Sein Gefährte blieb stehen, befeuchtete den Finger und hob die Hand. Da spürte Richard es ebenfalls. Ein leichter, unregelmäßiger Luftzug.
»Gehen wir«, wisperte der andere; er hatte Richard schon zu Beginn angewiesen, in diesem Teil der Gänge besser nicht laut zu sprechen.
Kurz darauf sah Richard den Mondschein durch die brüchige Decke sickern. Es war Vollmond, ausgerechnet in der Nacht, in der schon eine normale italienische Sommernacht viel zu hell gewesen wäre.
»Wird schwer sein, bei dem Licht ein Pferd zu stehlen«, bemerkte der Mann neben ihm skeptisch.
Das letzte Stück des Gangs war eingestürzt, so daß sie mühsam ins Freie kriechen mußten. Der gleißende Mondschein, der sie empfing, bestätigte
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