Die Puppenspieler
alltäglichen Wasser auch etwas von dem Bier oder an besonderen Tagen von dem Traminer zu kosten, einem Wein, den die Faktorei in Bozen in Holzfässern nach Augsburg lieferte.
Doch der für Richard wichtigste Unterschied bestand darin, daß die Mahlzeiten keineswegs schweigend verliefen wie im Kloster, wo ein Mönch vorgelesen und die anderen Mönche und Schüler sich still dem Essen gewidmet hatten. Hier wurde bei Tisch, an dem häufig auch Angestellte, Freunde der Familie und Gelehrte saßen, über Ereignisse gesprochen, die von der Wahl des Augsburger Stadtrats bis zur Politik des Heiligen Römischen Reiches reichten, und die Kinder schwatzten lebhaft dazwischen. Wenn auch niemand über laufende Geschäfte des Unternehmens Fugger ein Wort verlor, so bildeten vergangene Geschäfte Anlaß zu beziehungsreichen Scherzen und Erzählungen, und die Älteren unter den Kindern, zu denen häufig auch die Söhne und Töchter von Anna Meutting, der Schwester der Fugger, kamen, schienen sehr viel darüber zu wissen.
Richard verhielt sich zunächst ziemlich schweigsam, doch diese jungen Leute sahen ihn nicht als Fremden an. Er war ein neuer Vetter und damit Teil der Familie, und die Familie war alles.
Er entdeckte bald, daß die Erzählungen von vergangenen Geschäften unterblieben, wenn ein tatsächlich Außenstehender zugegen war, oder wenn man ihm Augsburg zeigte, was vor allem Ulrich Fuggers ältester Sohn Hans Ulrich, von der Familie Hänsle genannt, und seine Schwester Ursula übernahmen.
Schon nach einigen Tagen kam Richard sich lächerlich vor, angesichts der ständig schwirrenden Betriebsamkeit eisernes Schweigen zu bewahren, denn in den Gesprächen erfuhr man die erstaunlichsten Dinge, so zum Beispiel die Art, wie die Fugger zu Neuigkeiten aus aller Welt gelangten.
Ein überraschender Besuch wie der von Abu Bakr Muhammad Ibn Ammar hätte eigentlich gar nicht vorkommen dürfen, und man konnte sicher sein, daß auf Herrn Flick in Venedig nichts Gutes wartete. Jakob Fugger hielt ein gutes Nachrichtensystem für lebensnotwendig und hatte ungeahnte Möglichkeiten entdeckt, um daraus Gewinn zu schöpfen.
Als Richard einmal die Stallungen besuchte, in deren Nähe die Waren lagerten, entdeckte er, daß einige Knechte mehrere Stapel gefalteten Papiers umluden. Er konnte einen Blick darauf werfen. Es handelte sich um kleine Beweise der Schnelligkeit, mit der die Kunst der beweglichen Lettern des Meisters Gutenberg inzwischen angewandt werden konnte. Wenn Jakob Fugger erst einmal sicher war, eine Neuigkeit verwertet zu haben, ließ er sie vervielfältigen und an die neugierigen Augsburger verkaufen.
Richard brauchte nicht lange, um die Machtverhältnisse im Fuggerschen Hauswesen und im Unternehmen zu erkennen. Noch immer hieß das Unternehmen ›Ulrich Fugger und Gebrüder‹, doch der dicke Ulrich war der einzige, der sich für den Leiter des Unternehmens hielt. Vor Jakobs Heirat hatte er seinem jüngsten Bruder das Wohnrecht in diesem Zentrum der Macht verweigert, so daß Jakob jeden Abend, wenn die Lichter gelöscht wurden, auf die andere Seite des Marktes in das alte Haus am Rohr, in dem die Fugger lange gelebt hatten, gehen mußte.
Erst jetzt hatte man diese umständliche Regelung fallenlassen, doch sie zeigte, wie sehr Ulrich an den Würden hing, die ihm als dem Ältesten zustanden. Richard hielt Ulrich für einen Wichtigtuer, und die ironisch-respektvolle Art, in der Jakob mit seinem Bruder umging, belustigte ihn immer wieder.
Im übrigen, dachte er altklug, selbst wenn Jakob Ulrich nicht beherrschen würde, dann würde es Veronika. Ulrichs Gemahlin hatte ihm von Anfang an mißfallen, und die Art, wie sie ihn übersah und ständig gegen Sybille intrigierte, hatte seine Abneigung noch verstärkt. Leider war er jedoch gezwungen, sie regelmäßig zu sehen, denn er nahm am Unterricht ihres ältesten Sohnes Hänsle teil.
Die Frage des Unterrichts hätte ohnehin um ein Haar einen Familienstreit ausgelöst. Hänsle war ein wenig jünger als Richard und hätte eigentlich zur Erziehung in ein Kloster gehen sollen. Richard vermutete, daß man diese Lösung auch für ihn im Sinn gehabt hatte. Doch dann hatte ihn Jakob zu einer eigenartigen Unterredung rufen lassen.
Richard war noch nie zuvor in der goldenen Schreibstube, dem Zentrum der Fuggermacht, gewesen, und sie hätte ihm um ein Haar einen Ausruf des Staunens entlockt. Jakob war sonst alles andere als prunkliebend – ein Erbe seiner mönchischen Erziehung.
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