Die Puppenspieler
überlassen, sich um das Gefolge des Kaufmanns zu kümmern.
Richard half ihr, so gut es ging. Sybille war so ganz anders, als er es von einem Mitglied der hochmütigen Familie, die seine Mutter nicht hatte anerkennen wollen, erwartet hatte. Die Art, wie sie ihn ihrer Schwägerin gegenüber sofort in Schutz genommen hatte, hatte ihn verblüfft und ihn gleichzeitig aufwachen lassen. Natürlich konnte er sich ausrechnen, daß sie noch viel zu jung war, um an der Familienfehde irgendeinen Anteil gehabt zu haben. Sie trug ihr mit erlesenen Goldfäden und Edelsteinen besticktes Kleid mit der unbewußten Selbstverständlichkeit der Reichen, doch sie wirkte nicht im mindesten geziert, war auch bereit, selbst zu handeln, wenn kein Bediensteter in der Nähe war.
Da sich Sybille natürlich nicht nach seiner Mutter oder nach Wandlingen erkundigen wollte, verfiel sie darauf, Richard nach seiner Lektüre zu fragen. Er entdeckte, daß sie einige der Bücher gelesen hatte, die auch zu seinen Lieblingswerken gehörten. Über gefalteten Leinentüchern, die sie in das kleine Zimmer brachte, welches vorerst das seine sein würde, tauschten sie Verse des Vergil aus. Doch als sie ihn später dankbar auf die Wange küßte, schrak er zurück, als habe sie ihn geschlagen. Von nun an ging er nicht mehr auf ihre Scherze ein und sagte wieder nur das Allernotwendigste.
Er hatte entdeckt, daß er es nicht ertragen konnte, von einer Frau berührt zu werden.
Nichtsdestoweniger half er ihr, den Abend zu gestalten, und deklamierte sogar zu Ehren des Gastes ein wenig Poesie, was, wie er wußte, in dessen Heimat üblich war. Ibn Ammar antwortete mit einem Gegengedicht. Während er mit seiner tiefen Stimme begann: »Ein silberner Tag ist's, drum vergolde den Becher mit Wein«, und Richard für alle anderen Anwesenden das Gedicht übersetzte, spürte er wieder, wie Jakobs Augen auf ihm ruhten. Als er schließlich ins Bett kam, war es die erste Nacht, in der er wieder länger als eine oder zwei Stunden schlafen konnte.
Am nächsten Morgen empfand er deswegen heftige Schuldgefühle. Im Kloster hatte er den größten Teil der Nacht wachgelegen und in die Dunkelheit gestarrt, hier hatte es nur eines aufregenden Gastes und eines weichen, für klösterliche Verhältnisse luxuriösen Daunenbettes bedurft, um ihm traumlosen Schlaf zu bescheren. Es war, als stehle er mit einer ruhigen Nacht seiner Mutter ihr Recht auf Trauer. Er hatte sich von all dem Glanz und der Aufregung einwickeln lassen und schwor sich, daß so etwas nie wieder geschehen würde.
Richard hatte drei Vorsätze gefaßt, die er nie mehr vergessen würde: das Bild des brennenden Scheiterhaufens für immer in sich zu bewahren; niemals mehr einen Menschen an sich herankommen zu lassen; und das Wichtigste: Er, Richard Artzt, würde der Welt beweisen, daß es keine Hexen gab. Es war die einzige Möglichkeit, seine eigene Schuld an dem Tod seiner Mutter auch nur im entferntesten wiedergutzumachen.
Er beobachtete, wie die Sonne sich durch sein Fenster stahl, und ertappte sich schon wieder bei einem höchst unerwarteten Gefühl: Neugier. Und der Wunsch, seine neue Umgebung kennenzulernen.
Er war ohne alle Erwartungen nach Augsburg gekommen, doch nun entdeckte er, daß er wahrhaftig Glück gehabt hatte, denn in dem Anwesen am Rindermarkt trafen täglich Nachrichten aus aller Welt ein, und die Handelswaren exotischer Herkunft riefen seine Sehnsucht nach der Ferne wieder wach.
Es war jedoch nicht nur das kaufmännische Leben, das Richard mehr und mehr fesselte. Genauso fremdartig kam ihm die Großfamilie vor, bei der er jetzt lebte. Ulrich Fugger hatte mehrere Töchter und einige Söhne, die an der großen gemeinschaftlichen Mahlzeit, die abends stattfand, teilnahmen.
Diese Mahlzeiten hätten sich nicht mehr von denen des Klosters unterscheiden können. Das fing bei den Speisen an. Im Kloster hatte man sich streng an die kirchlichen Fastenvorschriften gehalten, die Fleischgenuß nicht nur in der Fastenzeit, sondern auch freitags, mittwochs und an Vorabenden zu Feiertagen ausschlossen, und zwischen Brot, Rüben und eingebeiztem Fisch hatte keine große Abwechslung bestanden. Hier legte man die Fastenvorschriften wesentlich großzügiger aus; Richard lernte mehr Wildbret kennen als während seiner gesamten Zeit in St. Georg, er stellte fest, auf wieviel mannigfaltige Arten Fisch und Fleisch zubereitet werden konnten, und es wurde ihm wie den anderen Kindern an Sonntagen gestattet, neben dem
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