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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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sei es der Gesichtsausdruck seiner Tante und die hämische Miene ihrer Schwägerin, hatte ihn dazu gebracht, seine Umgebung wieder genauer betrachten zu wollen.
    Und Abu Bakr Muhammad Ibn Ammar bot ihm eines der fesselndsten Schauspiele, die er sich vorstellen konnte. Der Araber reiste, wie es sich für einen Mann seines Reichtums geziemte, mit bewaffneten Gefolgsleuten in prächtiger Gewandung, der selbst der Reisestaub ihren Glanz nicht nehmen konnte. So überfüllt der Innenhof mit Pferden, Maultieren, kläffenden Hunden und Menschen war, die ständig hierhin und dorthin liefen – die Neuankömmlinge stachen hervor.
    Ihr Herr war leicht auszumachen. In einen pistaziengrünen Seidenumhang gehüllt, wartete er ruhig, als Richard sich ihm näherte.
    »Effendi, Ihr erweist uns Ehre«, sagte er in der Sprache, die seine Mutter ihm beigebracht hatte. »Mein Onkel und sein ganzes Haus schätzen sich glücklich, Euch in dieser unwürdigen Absteige empfangen zu dürfen.«
    Es war ein Genuß, die vertraute Sprache wieder zu sprechen, die eleganten Formulierungen zu gebrauchen, die er für immer verloren geglaubt hatte. Energisch unterdrückte er jede Erinnerung an das letzte Mal und fragte sich gleichzeitig, für wen er das eigentlich tat.
    »Die Ehre ist auf meiner Seite«, erwiderte Ibn Ammar huldvoll. Sein Bart war schwarz gefärbt, was ihn als Mann von hohem, aber keinesfalls von adeligem Rang auswies. »Seit ich in Venedig mit dem Mann, der sich Flick nennt, verhandelt habe, hegte ich den Wunsch, den Herrn dieses Mannes kennenzulernen.« Er neigte den Kopf etwas zur Seite. »Selbst in meiner Heimat erzählt man sich Geschichten von Fugger, dem Fürsten der Kaufleute.«
    Richard geriet einen Moment in Verlegenheit, denn dies wäre der geeignete Augenblick gewesen, um den so Gelobten vorzustellen. Sybille, eine Frau, wäre völlig unpassend, selbst wenn man voraussetzte, daß Ibn Ammar um die barbarischen Sitten dieses Landes wußte. Er murmelte: »Keine Geschichte kann den Berichten entsprechen, die man sich vom Geschick Ibn Ammars erzählt«, und sah zu seiner unendlichen Erleichterung einen Mann, der Jakob Fugger sein mußte, gemessenen Schrittes durch den Vorhof kommen.
    Jakob trug ein dunkles, pelzbesetztes Gewand und eine der erst kürzlich aus Italien gekommenen feinbestickten Kappen, die sein Haar fast gänzlich verbarg und seinem hageren, strengen Gesicht einen asketischen Ausdruck verlieh. Seine Gestalt war groß, wenn auch nicht überdurchschnittlich, kräftig, ohne behäbig zu wirken, und strahlte unnahbare Autorität und ständige Spannung aus. Mehrere seiner Angestellten folgten ihm auf dem Fuße. Als er sich näherte, fühlte Richard zum ersten Mal wieder den Wunsch in sich aufsteigen, zu zeichnen. Doch er würde nie wieder einen Menschen zeichnen. Dieser Mann, den der Abt verächtlich als ›gerissenen Pfeffersack‹ bezeichnet hatte, besaß ein fesselndes Gesicht.
    Die schmalen Lippen und das kräftige Kinn sprachen für Unnachgiebigkeit und Durchsetzungsvermögen, die hohe Stirn und die für einen Mann erstaunlich geschwungenen Augenbrauen für Intelligenz und Geschmeidigkeit. Seine lange, gerade Nase verleugnete völlig seine bäuerlichen Vorfahren, doch die tiefliegenden Augen waren es, die Richard am meisten fesselten. Ihre Farbe entzog sich einer festen Bestimmung. Amber, braun oder bernsteinfarben? Er wußte es nicht. Es gab Philosophen, die behaupteten, die Augen seien das Tor zur Seele, doch Jakob Fuggers Augen verrieten nichts, glänzten hell und undurchsichtig in der Sonne, als er auf seinen Gast zuschritt. Katzenaugen, dachte Richard.
    Er spürte, wie Jakobs Blick, mit einem Mal beunruhigend intensiv, ihn streifte, bevor er sich wieder auf Ibn Ammar richtete. Dann hörte er zu seiner Überraschung, wie Jakob den Gast in venezianischer Mundart ansprach, und in ihm wallte unwillkürlich Bewunderung auf. Jakob mußte erfahren haben, daß Ibn Ammar nicht allzugut Latein sprach. Der große Handelsumschlagplatz für Waren aus dem Orient war Venedig. Also konnte man schlußfolgern, daß dieser Gast sich gewiß mit dem dortigen Idiom vertraut gemacht hatte.
    Und in der Tat, Ibn Ammar antwortete rasch und fließend. Richard wünschte sich inständig, ebenfalls über das gleiche Vokabular zu verfügen, und bemühte sich, mit Hilfe der wenigen vertrauten Brocken und Latein dem Gespräch zu folgen. Nicht, daß Jakob sich lange aufhielt. Bald verschwanden er und Ibn Ammar, und Sybille blieb es

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