Die Puppenspieler
und er hatte den Jüngeren in seinem Kloster gelegentlich besucht. Vielleicht hatte er damals schon etwas in Jakob gesehen, was für Ulrich unsichtbar war. Sie waren in jenem Herbst zu zweit nach Herrieden geritten, nur um ihrem jungen Bruder in seiner Kutte und der Tonsur gegenüberzustehen, der völlig ungerührt schien.
Während sie ihm ihren Vorschlag unterbreiteten, war er zum Fenster gegangen, eine hagere Gestalt, in die das kalte Herbstlicht scharfe Konturen zeichnete. Schließlich hatte er sich umgewandt und hatte sie angesehen, mit jenem beunruhigenden Blick, der Ulrich damals zum ersten Mal auffiel.
»Seid ihr sicher, daß ihr mich als gleichberechtigten Partner haben wollt?« Die hellen Augen schienen ihn festzuhalten. »Völlig sicher?«
»Du bist mein ältester Bruder«, sagte Jakob jetzt, »und selbstverständlich achte ich deine Wünsche und deinen Rat. Aber hast du nicht immer betont, eine Waise aufzunehmen, sei wahrhaft christlich?«
»Ja, gewiß …«, begann Ulrich verwirrt, »nur …«
»Und ist Verschwendung«, fuhr Jakob gedehnt fort, »nicht eine Todsünde?«
»So ist es, aber …«
»Ich werde Richard noch brauchen. Das Unternehmen wird ihn noch brauchen. Und in St. Veit bliebe er keine zwei Wochen, bevor er uns für immer verloren wäre, während er mir hier zu Dankbarkeit verpflichtet ist.«
Ulrich gab es auf. Er konnte nicht sehen, was ihnen der Neffe von Jakobs Gemahlin nutzen würde, aber Jakob war schon immer in der Lage gewesen, das Ende eines verwickelten Fadens lange vor dem Anfang zu finden. Wären sie sonst an das Tiroler Silber gekommen?
Ulrich hatte es für Wahnsinn gehalten, dem Herzog Sigismund, der Münzreiche genannt, Geld zu leihen. Erstens wußte jeder, daß Sigismund, wiewohl im Besitz der reichsten Silberbergwerke von Europa, ständig verschuldet war, und zweitens konnte die Salzburger Methode hier keinen Erfolg haben. Die Grubenpächter, die von Sigismund das Recht zur Ausbeutung bekommen hatten, waren reiche Leute, die nur jährlich einen bestimmten Anteil an ihren Herzog abführen mußten. Sie brauchten kein Fuggergeld.
Dennoch waren am Ende auch die Tiroler Bergwerke in den Besitz des Unternehmens übergegangen. Versöhnt durch den Gedanken an jenes großartige Geschäft, lächelte Ulrich seinem Bruder zu. Jakob hatte recht behalten in Tirol. Er schien sich auch nicht geirrt zu haben, als er behauptet hatte, was in Tirol möglich gewesen war, müßte sich im Heiligen Römischen Reich mit Maximilian wiederholen lassen.
»Alles für das Unternehmen, Jakob, nicht wahr«, sagte Ulrich, und schlug seinem jüngeren Bruder herzhaft auf die Schulter. »Du wirst schon wissen, was du tust. Alles für die Familie.«
8
H ÄNSLE MUSTERTE R ICHARD neugierig, während sie gemeinsam durch Augsburg schlenderten. Er wurde nicht recht klug aus seinem neuen Vetter, der so plötzlich aufgetaucht war. Seine Mutter hatte zwar gemeint, daß diese Heirat von Markus Artzt damals eine höchst unerfreuliche Angelegenheit gewesen sei.
»Es hat seinen Eltern das Herz gebrochen. Wir wollen hoffen, daß der Leichtsinn nicht in der Familie liegt, wenngleich es oft den Anschein hat. Mich wundert es überhaupt nicht, daß Sybille diesen Jungen zu sich genommen hat.«
All das klang sehr nach Abenteuer und Geheimnis, aber Richard erzählte nie aus seinem früheren Leben. Er erzählte überhaupt nie etwas wirklich – wie sollte man es ausdrücken – Geheimes, Wichtiges. Sie wurden gemeinsam unterrichtet und waren auch sonst oft genug zusammen, und Richard konnte nach den ersten Tagen auch nicht mehr als schweigsam bezeichnet werden.
Er unterhielt sich mit Hänsle, mit Ursula, mit jedem der jüngeren Fugger, mit Anselm und mit den vielen Kaufleuten, die im Dienst des Unternehmens standen, er scherzte mit ihnen und benahm sich auch sonst wie jeder andere, aber irgend etwas stimmte nicht.
»Ich bin froh, daß Anselm uns unterrichtet statt irgendwelche alten Mönche, du nicht?« fragte Hänsle, um eine Theorie zu überprüfen, die er sich zurechtgelegt hatte. Richard zuckte die Schultern und sprach von etwas anderem, und Hänsle hätte beinahe genickt. Das war es. Richard redete nie über Gefühle, und er zeigte nie eine Schwäche. »Weißt du, daß du Ähnlichkeit mit Onkel Jakob hast?«
Endlich war es ihm gelungen, Richard zu verblüffen. »Wieso? Inwiefern?«
Jetzt war es an Hänsle, sich geheimnisvoll zu geben. Er breitete die Arme aus. »Wenn du es nicht weißt …«
Eigentlich
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