Die purpurnen Flüsse
Guernon? « Crozier zögert e kurz . »Guernon , ja« , sagt e er . »Ic h wei ß zwa r nicht , mit welche n üble n Trick s d u darau f gekomme n bist , abe r ein s mu ß man di r lassen : Dein e Spu r is t immerhi n di e heißeste.«
VII
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Di e Bilde r de r deutsche n Fotografi n ware n zu m Lebe n erwacht. Athlete n mi t rasierte n Schläfe n rannte n durc h da s Berliner Vorkriegsstadion . Leichtfüßig , muskulös , feierlich . Ih r Lau f hatte de n abgehackte n Rhythmu s eine s alte n Film s un d dieselbe Bildqualität : grobkörni g un d pigmentier t wi e di e Fläch e eines Grabsteins . E r sa h di e Männe r laufen , hört e ihr e Tritt e au f der Aschenbahn . Spürt e ih r rauhe s Keuchen , da s jede n Schritt synkopierte . Doc h bal d schobe n sic h andere , verschwommene Eindrück e darüber . Di e Gesichte r ware n au f einma l z u dunkel , zu verschlossen . Di e Brauenböge n z u ausgeprägt , z u wei t vorgewölbt. Wa s verbarge n dies e Blicke ? Währen d au s de n Reihe n der Zuschaue r ei n beunruhigendes , hysterische s Geschre i aufstieg , hoben di e Athlete n di e Köpf e – un d offenbarte n leer e Augenhöhlen . Dieser Mange l hindert e si e jedoc h nich t daran , z u sehe n un d z u laufen . Im Gegenteil : Au f de m Grun d de r frische n Wunde n schie n sic h etwa s zu bewege n … ei n Zungenschnalze n … ei n tierische s Wusel n und Wimmel n … Schweißüberström t fuh r Niéman s au s de m Schlaf . Da s hell e Licht de s Computerbildschirm s schie n ih m i n di e Auge n un d blendet e ihn – e s wa r wi e di e Farc e eine s Verhörs . Diskre t versucht e er , seine Fassun g wiederzugewinnen , zo g de n Kop f zwische n di e Schultern un d war f eine n Blic k i n di e Runde : Nieman d hatt e bemerkt , da ß er eingenick t wa r un d da s Entsetze n sic h seine r Träum e bemächtigt hatt e – i n Gestal t de r Fotografien , di e Sophi e Cailloi s i m Flu r hängen hatte . Di e Bilde r diese r Nazi-Regisseurin , dere n Name n e r vergessen hatte . Einundzwanzi g Uhr.
E r hatt e nu r fünfundvierzi g Minute n geschlafen . Nac h seinem Besuc h i n de r Lagerhall e hatt e Niéman s sein e Fund e – das Spiralheft , di e Metallteile , da s weißlich e Pulve r – übe r Mar c Costes, de r imme r noc h au f da s Eintreffe n de r Gletscherleich e wartete , an Patric k Astier , de n Chemike r i n Grenoble , geschickt . Dan n wa r er hierher , i n di e Universitätsibliothe k gekommen , u m di e Wörter »Flüsse « un d »Purpur « i n de n Compute r einzugeben . Zunächs t hatte e r di e Landkarte n studiert , u m festzustellen , o b irgendw o etw a ein Kanalsyste m diese s Namen s existierte . Dan n hatt e e r den Stichwortkatalo g nac h eine m Buch , eine r Dissertation , einem Zeitschriftenbeitra g durchsuch t – nac h irgendeine r Publikation , die dies e Begriff e i m Tite l nannten . Doc h e r hatt e nicht s gefunde n und wa r mitte n i n de r Lektür e vo m Schla f übermann t worden . Nach beinah e vierzi g durchwachte n Stunde n hatte n sein e Nerve n ih n im Stic h gelassen , un d e r wa r zusammengesack t wi e ein e Marionette, dere n Fäde n durchtrenn t werden.
De r Kommissa r lie ß noc h einma l de n Blic k übe r de n großen Lesesaa l schweifen . A n de n Tischen , i n de n verglaste n Abteilungen saße n verstreu t ei n Dutzen d Poliziste n i n Zivil , di e imme r noch unermüdlic h Büche r nac h mögliche n Anhaltspunkte n durchforsteten. Zwe i Beamt e ware n dami t beschäftigt , di e List e de r Studente n zu erstellen , di e sic h häufi g Literatu r übe r di e fragliche n Themen ausgeliehe n hatten . Ei n andere r wa r nac h wi e vo r i n di e Dissertation vo n Rém y Cailloi s vertieft . Doc h Niéman s glaubt e nich t meh r daran, au f diese m We g fündi g z u werden , ebensoweni g wi e di e Polizisten, di e ungeduldi g au f ihr e Ablösun g warteten . Sei t zwe i Stunde n wußte jeder , da ß angesicht s de r magere n Ergebniss e de s Trio s Niémans- Barnes-Vermon t di e Kriminalpolize i vo n Grenobl e de n Fal l wieder übernehme n sollte.
Tatsächlic h ware n di e Ermittlunge n trot z de s verstärkte n Einsatzes nich t eine n Schrit t weitergekommen . Vo m Stützpunk t Roman s waren dreihunder t Soldate n requirier t worden , di e de n Truppe n von Capitain e Vermon t helfe n sollten , da s Geländ e de r umliegenden Berge , de s Mure t un d de s Belledonne , z u durchkämmen . Gegen neunzeh n Uh r ware n si e i n Lastwage n angekarr t worde n un d
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