Die purpurnen Flüsse
Titelseite n der Krankenhausakte n gefälsch t worde n waren . Etienn e Cailloi s hatte sic h bemüht , di e Schrif t de r zuständige n Säuglingsschwester n zu imitieren , wa s ih m nich t schlech t gelunge n war , doc h de m Vergleich mi t de n Originalseite n hielte n sein e Ergebniss e nich t stand.
Abe r warum?
E r legt e zwe i einande r entsprechend e Titelseite n nebeneinander: Bi s au f di e geringfügig e Abweichun g de r Schrif t stimmt e di e Kopie mi t de m Origina l offensichtlic h überein . E r nah m sic h weitere Exemplar e vor , un d noc h imme r fie l ih m nicht s auf . E r nah m die Brill e ab , wischt e sic h de n Schwei ß vo m Gesicht , setzt e si e wieder au f un d fuh r fort , zunehmen d nervös . Un d endlic h sa h e r es : ein winzige r Unterschie d zwische n de m echte n un d de m gefälschten Blatt . Noc h begrif f e r nicht , wa s da s bedeutete , doc h e r ahnte , da ß er eine n große n Schrit t weitergekomme n war . Sei n Gesich t glühte , und zugleic h stan d ih m de r kalt e Schwei ß au f de r Stirn . E r vergewisserte sich , da ß auc h ander e Seite n Unterschied e diese r Ar t aufwiesen, dan n packt e e r sämtlich e Dokumente , di e vollständige n Akte n und di e vo n Cailloi s entwendete n Geburtsscheine , i n de n Karto n und verlie ß da s Archiv.
E r verstaut e sein e Beut e i m Kofferrau m seine s neue n Wagen s – eine s blaue n Peugeo t vo n de r Gendarmeri e – un d kehrt e noc h einmal i n di e Klini k zurück , diesma l i n di e Säuglingsstation . U m fün f Uhr morgen s schie n di e ganz e Statio n i m Tiefschla f z u liegen , un d trotz de s grelle n Neonlicht s wirkt e alle s seh r friedvoll . Niéman s suchte da s Stationszimmer , w o e r weißbekittelt e Pflegerinne n und Hebamme n antraf , di e ih n erstaun t ansahen . E r zeigt e seinen Dienstauswei s un d fragt e nac h de m diensttuende n Arzt.
Si e schickte n ih n z u eine m andere n Raum , un d au f de m We g traf e r eine n Geburtshelfer , de r mi t alle n Anzeiche n tiefe r Erschöpfung au s eine m Kreißsaa l kam . Niéman s zeigt e noc h einma l seinen Auswei s un d stellt e sein e Frag e – e r hatt e nu r ein e einzige : »Herr Doktor , gib t e s eine n logische n Grund , weshal b sic h da s Gewicht eine s Neugeborene n i n de r erste n Nach t seine s Leben s verändern sollte ? Ic h meine , is t e s normal , da ß ei n Bab y i n de n erste n Stunden nac h seine r Gebur t ei n paa r hunder t Gram m zu - ode r abnimmt?«
Mi t eine m befremdete n Blic k au f di e strammsitzend e Mütze , die z u enge n un d z u kurze n Kleide r de s Kommissar s antwortet e der Arzt : »Nein . Wen n ei n Kin d a n Gewich t verliert , führe n wi r sofort ein e gründlich e Untersuchun g durch . Den n da s is t ei n Hinwei s auf ein e Störung.«
»Un d wen n e s zunimmt ? Kan n e s sein , da ß ei n Kin d i n einer einzige n Nach t signifikan t schwere r wird?«
»Da s passier t nie . Abe r wa s wolle n Si e eigentlich? « fragt e de r Arzt mi t verwunderte r Miene.
Niéman s lächelte . »Viele n Dank , Her r Doktor« , sagt e er , drehte sic h u m un d ging.
I m Gehe n schlo ß e r di e Augen . Endlic h kannt e e r da s Motiv , das hinte r de n Morde n vo n Guerno n stand.
Di e erschreckend e Manipulation , au f di e sic h di e »purpurnen Flüsse « bezogen.
Nu r noc h ei n letzte s Detai l gal t e s z u überprüfen . I n der Universitätsbibliothek.
55
»Raus ! Alle!«
De r Lesesaa l wa r taghel l erleuchtet . Schlaftrunke n blickte n die Kripobeamte n vo n ihre n Bücher n auf . Sech s ware n e s noch , di e sich mi t philosophische n Abhandlunge n übe r da s Böse , übe r di e Reinheit befaßten , ander e ware n noc h dami t beschäftigt , Zusammenhänge zwische n Studente n un d Bücher n herzustellen , di e i m Somme r und Frühherbs t entliehe n worde n waren . Si e wirkte n wi e vergessene Soldaten , dene n nieman d gesag t hat , da ß de r Krie g inzwische n an eine r andere n Fron t tobt . »Geh t all e nac h Hause! « wiederholte Niémans . »Di e Ermittlunge n hie r sin d abgeschlossen.«
Di e Poliziste n wechselte n argwöhnisch e Blicke . Wahrscheinlich hatte n si e gehört , da ß Hauptkommissa r Niéman s nich t meh r fü r den Fal l zuständi g war . Wahrscheinlic h begriffe n si e nicht , weshal b der berühmt e Bulle , sons t ein e s o gepflegt e Erscheinung , jetz t aussah wi e ei n Wit z i n seine n sonderbare n Kleider n un d mi t diese r Art Sock e au f de m Kop f un d
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