Die Pyramide: Im Zeichen des Orion (German Edition)
Büro. Zum Glück gab es keine Granitsäulen und Opalnäpfe, sondern moderne, funktionale Möbel. Er begann mir zu erzählen, was ich jetzt alles lernen und beherrschen musste. Personal war noch einzustellen. Er hatte Anzeigen geschaltet und bereits Einladungen zu Vorstellungsgesprächen verschicken lassen.
„Du führst die Interviews und sagst mir, wen ich nehmen soll. Das musstest Du als Oberschwester sicherlich auch.“
„Nicht so ganz; da gab es noch ein paar Leute über mir.“
„Ich habe Vertrauen zu Dir. Du wirst das schon machen.“
Er gab mir die bereits abgeschlossenen Verträge mit den angelegten Personalakten. Ich sollte mich mit den Lebensläufen vertraut machen. Dann sollte ich mich in die Personalabrechnung einarbeiten, schließlich wollte er mir in absehbarer Zeit Bankvollmacht erteilen, und ich sollte wenigstens wissen, welche Beträge ich anwies. Dann standen noch Etatfragen an. Er wollte mir etwas über den Werbeetat erzählen, und ich sollte mir überlegen, wie wir die Gelder am effektivsten einsetzten.
Ich hatte von allem keine Ahnung, und mittags war ich so erschöpft, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.
„Nichts als Bettenbelegung, hä?“ fragte ich matt.
„Obwohl ich dafür im Krankenhaus sowieso nicht zuständig war.“
„Ich werde Dich Schritt für Schritt dahinführen,“ versprach er.
„Ab 1. Juli kommt der Buchhalter. Du kannst von Anfang an dabei sein, wenn der Laden organisiert wird. Am 15. August nimmt der Empfangschef seinen Dienst auf. Zwischendurch kannst Du Dich mit dem Restaurant befassen. Das wird auf jeden Fall Mitte August eröffnen.“
Jochen kam fast jeden Tag, um die Organisation voranzutreiben und mich einzuarbeiten. Wenn er nicht kam, sah ich meine Notizen durch, las in einem Buch über Arbeitsrecht und frischte mein Englisch auf, denn ich sollte mich mit ausländischen Gästen fließend unterhalten können. So war ich manchmal froh, wenn Jochen nicht erschien.
Zwei Wochen waren vergangen, ohne dass ich bisher die Burg verlassen hätte. Proviant brachte Jochen mit, und ich hatte den Kopf so voll und wollte alles auf einmal beherrschen, dass ich kein Bedürfnis hatte, irgendetwas zu unternehmen. Das Wochenende stand bevor und ich freute mich auf ein paar erholsame Stunden.
„Ich weiß noch nicht, ob und wann ich am Wochenende kommen kann,“ sagte Jochen am Freitag.
„Ja soll ich hier oben versauern?“ fragte ich maßlos enttäuscht.
„Sei nicht böse, aber wir sind zu einer privaten Party eingeladen, und da muss ich ausnahmsweise mal mit Ehefrau hin.“
Dann sah er mich nachdenklich an, und ich sah einen Funken Bosheit in seinen Augen aufblitzen.
„Mir kommt da ´ne Idee,“ meinte er.
„Nein,“ rief ich, „bitte nicht schon wieder!“
Unbeirrt fuhr er fort:
„Mein guter Freund Mark ist auch eingeladen, hat aber keine Lust allein zu kommen. Eine Frau hat er gerade nicht. Würdest Du es schaffen, Dich als seine Freundin auszugeben? Das wäre doch ein Hammer.“
„So spaßig finde ich das nicht,“ gab ich zurück.
„Neugierig bin ich schon, Deine Frau kennen zu lernen.“
Ich zögerte noch.
„Und Dein Mark? Würde er mitmachen?“
Entschlossen griff Jochen zum Telefon. Mark war noch im Büro. Offensichtlich war er wild darauf, mich endlich zu sehen. Er sollte mich nachmittags mit seiner Nobelkarosse abholen, damit ich nicht mit meiner Sausekiste in das vornehme Villenviertel einfiele.
„Frag ihn, ob er um 4.00 Uhr zum Kaffee kommen kann. Wir müssten vorher Gelegenheit haben, uns zu duzen, wenn wir denn schon ein Liebespaar mimen sollen.“
Mark erschien pünktlich:
„Hallo, Tausendschön, melde mich zum Minnespiel.“
„Na, komm rein, lass uns gleich anfangen,“ gab ich zurück.
Also, mein Fall war der nicht, schon wegen des Bartes. Obwohl er seinen besten Anzug angezogen hatte, wirkte er ungepflegt. Diese Ränder unter den Augen, diese Tränensäcke, diese welke Haut und der trübe Blick! Aber beim Kaffee auf meiner Terrasse wurde er mir sympathisch. Er konnte spannend und witzig erzählen und seine Bemerkungen waren gelegentlich sogar geistreich. Als Ersatz für Jochen war er ganz akzeptabel, geistig jedenfalls.
Ich hatte schon den ganzen Vormittag über Kleider anprobiert. Es sollte eine zwanglose Gartenparty werden und ich möge mich nicht so auftakeln, hatte Jochen grinsend empfohlen. Aber wenn Mark im Konfirmationsanzug erschien, konnte ich wohl nicht in Radlerhosen kommen.
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