Die Pyramide: Im Zeichen des Orion (German Edition)
nicht gesehen hatte. Für dieses Jahr sollten Hotel und Restaurant an Heiligabend und dem 1. Weihnachtstag geschlossen sein. Dann erwarteten wir erste Gäste für den Jahreswechsel. Jochen hatte unmittelbar nach der Hoteleröffnung die Werbung für Sylvester anlaufen lassen. Er verlangte einen horrenden Eintrittspreis. Der sollte dann aber auch alles enthalten: Essen und Trinken bis zum Abwinken, einschließlich mehrer Tanzkapellen in den verschiedenen Räumen und ein Feuerwerk um 0.00 Uhr
„Von dem sich noch Ihre Enkel erzählen werden.“
Zunächst gab es vier Wochen lang keine einzige Anmeldung. Gerade als er seine Preisphilosophie überdenken wollte, brach die Nachfrage über uns herein, und innerhalb weniger Tage waren wir einschließlich sämtlicher Hotelzimmer restlos ausverkauft. Für das Gala-Essen in der „Hunnenschänke“ gab es sofort nach dem Eröffnungsabend keinen Platz mehr. Es stand dem Hotel- und Restaurantpersonal ein anstrengender Jahreswechsel bevor.
Sylvia kam am 24. Dezember, und ich war froh darüber, denn Jochen hatte mir eröffnet, dass er zu Heiligabend und am 1. Weihnachtstag bei der Familie bleiben musste. Aber er kam am Morgen des 24. und schenkte mir ein hinreißendes Modellkleid mit passenden Schuhen für unsere große Sylvesterfeier, und da das Restaurant am 2. Weihnachtstag wieder öffnete, lud er Sylvia und mich zum Essen ein. Sylvia war völlig aus dem Häuschen als sie sah, wo ich wohnte und arbeitete. Wir machten es uns so richtig gemütlich, quatschten nach Herzenslust, und sie erzählte, was sich in der Klinik inzwischen alles ereignet hatte. Ein bisschen Heimweh empfand ich bei ihren Erzählungen, doch sie sagte mir immer wieder, wie beneidenswert ich doch sei. Die Krönung ihres Aufenthaltes war selbstverständlich das Menue in der „Hunnenschänke“. Es gab einen Rehrücken wie wir ihn noch nie gegessen hatten. Dazu hatte Jochen meinen Lieblingswein „Gevry Chambertin“ bestellt. Am Nachmittag musste Sylvia dann abreisen. Der Abschied fiel uns beiden schwer. Immer wieder umarmten wir uns, und Sylvia sagte, wie sie sich für mich freue, weil ich offensichtlich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Aber ich wurde plötzlich tief traurig. War es der Wein, der Abschied, Sehnsucht nach der alten Heimat und den alten Freunden oder eine Vorahnung, dass ich nur noch wenige Tage in meinem Schloss bleiben durfte und nie mehr zurückkehren würde?
Am Morgen des 31. Dezember wachte ich ziemlich gerädert auf. Ich hatte von Albträumen geschüttelt entsetzlich schlecht geschlafen. Wegen des bevorstehenden Festes war ich sehr nervös. In den letzten Tagen gab es für uns alle großen Stress. Das Hotel füllte sich mit den Jahresendgästen und Jochen scheuchte uns mit seinen Vorstellungen vom Ablauf der Sylvesterparty von einer Besprechung zur nächsten. Er wollte, dass alles perfekt würde. Immer wieder schärfte er uns ein, dass wir überall dort eingreifen sollten, wo sich Gäste „stauten“. Wir sollten zur Entzerrung von Gedrängel beim Essen beitragen, indem wir die Gäste darauf hinwiesen, dass auch anderswo ein gleiches Buffet vorhanden sei. Besonders älteren Herrschaften sollten wir zu einem Sitzplatz verhelfen. Die jüngeren Leute sollten wir zu der Tanzkapelle mit den modernen Klängen führen, damit sie beim gemütlichen Hopsassa für das konservative Publikum nicht zu gähnen anfingen. Alles hatte er bis ins letzte durchdacht, selbst den Ablauf an Garderobe und „Ruhefacilitäten“, wie er es geschwollen nannte. Heinemann bezeichnete das respektlos als „König Artus Scheißhaus“. Er wollte keine Schlange aus der Toilette heraus, die bis zu den Gästen mit den Champagnergläsern ging. „Bitte sehr, die Herrschaften, es gibt noch da und dort weitere Toiletten. Kommen Sie, ich zeige sie Ihnen.“
So gedrillt fand ich mich um 19.00 Uhr festlich gekleidet, hairgestyled und kosmetisch auf Vordermann gebracht, am Hoteleingang ein. Eine halbe Stunde später fuhren die Gäste bereits vor. Viele glaubten offensichtlich, sie müssten früh anfangen, um ausreichend Zeit für das Abarbeiten des Eintrittsgeldes zu haben.
Einige der Gäste kannte ich von Krautermanns Geburtstagsfest.
„Ach, da ist ja unsere Suffragette“, rief jemand, und mir fiel absolut der Name nicht ein.
Ich lächelte, begrüßte ihn und seine Frau, winkte einem Kellner mit Champagner und wünschte angenehme Stunden.
„Welche Keule schwingen Sie denn heute gegen die
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