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Die Qualen der Sophora

Die Qualen der Sophora

Titel: Die Qualen der Sophora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: May R. Tanner
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mit
einer Schusswaffe, weil die Pfeile mit einer Schicht von geweihtem Silber
überzogen waren. Die Widerhaken bohrten sich schmerzhaft ins Fleisch und rissen
klaffende Wunden, wenn man versuchte, sie herauszuziehen.
    Sie sah herunter auf ihre Hände, mit denen sie sich
gerade auf der Brüstung abstützte und verzog die ewig schmollenden Lippen
enttäuscht. Ihre Knöchel waren alle blutig aufgeschlagen und verheilten gerade
zu unschönen Krusten. Ihre Handflächen sahen nicht besser aus. Überall
Schwielen und alte Narben. Ihre Fingernägel waren inzwischen nachgewachsen. Sie
hasste die Unart, an den Nägeln zu kauen und ihr Vater hatte sie ihr nachhaltig
ausgetrieben. Vielleicht sollte sie ihm dankbar dafür sein.
    Catalina atmete die von herbstlich schweren Düften
angefüllte Luft tief ein und sah sich mit traurig schimmernden Augen auf dem
bewaldeten Grundstück um, das die Festung umgab.
Heute Morgen hatte sie zum ersten Mal geblutet. Der Anblick war ein Schock für
sie gewesen. Sie hatte niemanden, mit dem sie über persönliche Dinge sprechen
konnte, also musste sie sich an ihre Mutter wenden, die sie immer nur mit
Widerwillen in ihren Gemächern willkommen hieß.
    Du bist die Brut des Teufels!
    Catalinas Miene nahm einen wütend trotzigen Zug an.
Wenn sie so abstoßend widerwärtig war, dann hätte ihr Vater sie als Säugling in
der Regentonne ertränken sollen, wie er es so gerne sagte, wenn sie im Training
nicht die gewünschten Leistungen erbrachte. Sie bemühte sich mehr als alle
anderen Jäger und doch konnte sie es nie jemandem recht machen. Hier innerhalb
dieser Mauern würde ihr Leben irgendwann… oder doch eher sehr bald enden.
Tatarescus starben selten daheim in ihren Betten, es gab eine lange Reihe von
Ahnen, die draußen auf den Schlachtfeldern ihr Leben gelassen hatten. Catalina
hob den hoffnungsvollen Blick zum Horizont an, der sich langsam mit einer
bedrohlichen Schwärze überzog. Die Nacht nahte… Ein kalter Schauer rann über
ihren Rücken, obwohl sie der Meinung war, dass sie in ihrem Leben schon alles gesehen
hatte.
    „Hier steckst du! Es ist Zeit! Wir müssen los!“,
erklang eine noch jungenhafte Stimme in ihrem Rücken, die sie dazu veranlasste,
sich zu dem Sprecher umzudrehen.
    „Was heißt hier wir ? Dragã *?“, hakte sie
irritiert nach und drehte sich zu ihrem jüngsten Bruder um, der gerade vor ein
paar Monaten erst fünfzehn geworden war. (*rum. Schatz/Liebling)
    So langsam wurde er zum Mann und seine sonst so
schlaksige Statur ging allmählich in die Breite. Er war schon über einen Meter
achtzig groß, doch Catalina sah nur seine großen Augen, die noch mit kindlicher
Begeisterung in die Welt blickten. Dragomir glaubte noch an die Märchen, die
sich die großen Krieger von den früheren Schlachten erzählten. Er trainierte
mit ihr, hatte den unbändigen Ehrgeiz, sie eines Tages zu schlagen. Ihr wurde
in diesen Augenblicken klar, dass sie den einzigen Menschen verlieren würde,
der sie noch nicht von Herzen verachtete. Ihren einzigen Spielkameraden, auch
wenn sie seit frühester Jugend nur mit Waffen aufeinander losgegangen waren.
Cat hatte seine Wunden verbunden und ihn im Arm gehalten, als er die erste
Nacht draußen in den Wäldern kampieren musste, damit er sich an die Geräusche
der Natur gewöhnte. Er war damals sechs gewesen und sie acht. Sie hatte sich
aus dem Schloss geschlichen und hatte Kopf und Kragen riskiert, um zu ihrem
kleinen Bruder zu gelangen, der sich zu Tode gefürchtet hatte.
    „Ich hab dir doch gesagt, dass du mich nicht mehr so
nennen sollst! Ich bin doch kein Kleinkind mehr! Nicht einmal Mutter sagt solche
Dinge zu mir“, beschwerte sich Dragomir mit einem Schmollen, das von ihr hätte
stammen können. Er war der einzige, der ihr wenigstens ein bisschen ähnelte und
noch nicht innerlich so verkorkst war, dass er kein Mitgefühl mehr besaß.
    Das sollte sie aber!
    „Sorry, Dragomir! Ich tu es nicht mehr, versprochen“,
gab sie nach und benutzte das einzige englische Wort, das sie ohne Akzent
aussprechen konnte, weil er derjenige mit dem Sprachtalent in der Familie war.
    Wie sehr hatte sie ihn um die Reisen in die fernen
Länder beneidet. Frankreich, Italien und die USA! Wie gerne hätte sie ihn
begleitet, doch Valeriu traute ihr nicht über den Weg, er würde sie niemals
irgendwohin gehen lassen. Und ohne Papiere würde sie auch nicht weit kommen.
Sie existierte gar nicht. Es würde niemandem auffallen, wenn sie eines Tages
einfach von der

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