Die Qualen der Sophora
die
Wunde schließen und dass er so wach bleibt, dass er trinkt. Das Beste wäre
natürlich, er beißt selbst zu, aber das kann ich von ihm in seinem Zustand kaum
erwarten.“
Awendela machte eine betont lässige
Handbewegung, die das ängstliche Zittern in ihrer Stimme Lügen strafen sollte.
Nico sollte nicht den Eindruck haben, als täte sie das hier zum ersten Mal.
„Ich wollte dich nicht erschrecken, es
tut mir leid!“, entschuldigte sich Nico von Herzen.
Allerdings wurde ihr klar, dass sie sehr viel verlangt hatte, als sie Wendy um
Hilfe bat. Sie hatte aber keine andere Wahl. Ash würde Awendela niemals etwas
antun. Dennoch konnte Nico gut verstehen, dass sie große Angst davor haben
musste, das Trauma wieder zu erleben. Sie senkte den Blick, damit Wendy nicht
sah, dass sie alles wusste. Das würde es bestimmt nur noch schlimmer für sie
machen.
„Gut, das ist wohl das Beste für Ash!“,
sagte Nico ohne Zögern und erhob sich von ihrem Stuhl, da die Sorge um den
Krieger und Awendela ihr einen kleinen Adrenalinschub durch die Adern schießen
ließ, der die kurzzeitige Schwäche aus ihren eigenen Gliedern vertrieb.
Ein Blick auf Damon vergewisserte sie seines Wohlergehens. Er atmete tief und
regelmäßig, die Haut seines Gesichtes war nicht mehr fahl. Sie konnte wieder
nach ihm sehen, wenn sie sich um Ash gekümmert hatten.
Die beiden Frauen kämpften gemeinsam, den
Krieger in eine aufrechte Position zu bringen. Nico kniete sich hinter ihn auf
die Liege, so dass sie einen guten Blick auf seinen schrecklich zugerichteten
Rücken hatte. Es war entsetzlich. Die Schmerzen, die er ausstehen musste. Sie
sah Wendy mit klopfendem Herzen in die besonderen Augen, in denen sie trotz
allem einen Funken Angst entdecken konnte. Die verspürte Nico auch, aber aus
anderem Grund. Ash' Verletzungen hätten wahrscheinlich jeden anderen Immaculate
umgebracht. Er war nur knapp mit dem Leben davon gekommen, weil er ein
mächtiger Krieger war.
„Wir müssen ihn nicht wecken! Er wird von
selbst aufwachen, wenn er dein Blut trinkt! Ich werde Mélusina in ihn fahren
lassen! Sie kann ihn für kurze Zeit kontrollieren, wenn er ohne Bewusstsein
ist! Er ist stark genug, das auszuhalten! Sie verlässt seinen Körper sofort
wieder, wenn er durch das Blut an die Oberfläche zurückkehrt!“
Es war nahe liegend und die einfachste
Lösung, weil sie Ash sonst nur unnötige Schmerzen zufügen mussten. Sie nickte
Wendy als Zeichen zu, dass Mélusina bereit stand. Auf diese Weise würde Ash
auch nicht nach hinten kippen, weil Nico nicht sicher war, dass ihr Körper
genug Gegengewicht bieten würde, um den schweren, leblosen Körper aufzufangen,
der sie wohl eher unter sich begraben würde.
Wendy nahm einen tiefen Atemzug und
schnitt sich selbst in den Hals, während Mélusina die Kontrolle über Ash
übernahm. Nico umfasste trotzdem seinen Kopf sehr vorsichtig, falls ihr
Schutzgeist Probleme bei der Übernahme haben sollte, doch sein Mund senkte sich
fast augenblicklich auf den sprudelnden Quell und das Blut wurde auch gleich
geschluckt.
Es dauerte nur wenige Sekunden, nachdem der Lebenssaft sich im Magen des
Kriegers ausbreitete, bis er erste Anzeichen von aufkeimenden Kräften zeigte.
Nico musste seinen Kopf nicht mehr halten, Mélusina wurde regelrecht aus seinem
Körper herauskatapultiert. Seine herabhängenden Arme schlossen sich wie
Schraubstöcke um Wendys Körper, durch die ein heftiges Zittern hindurchging.
Hatte Ash nun selbst zugebissen?
Das tiefe Knurren, das seine Kehle
erfüllte, schien ein Anzeichen dafür zu sein.
Nico glitt vom Tisch, weil sie nicht im Weg sein wollte. Awendelas Blut war
sehr mächtig und würde Ash eine rasche Heilung erlauben. Trotzdem blieb Nico in
der Nähe stehen, um die beiden voneinander zu trennen, falls es nötig werden
sollte, auch wenn sie nicht genau wusste, wie sie das tun sollte. Ash schien
sich in einem regelrechten Blutrausch zu befinden. Die kleinen Laute, die tief
aus seiner Kehle kamen, hörten sich an, als würde er sich an dem Geschmack des
Blutes weiden. Nico schnupperte überrascht, als ihr ein Duft nach Pfefferminze
in die Nase stieg, der immer stärker zu werden schien. Das Trinken schien sich
ewig hinzuziehen.
Dann riss sich Ash plötzlich von Wendys Hals los, so dass Nico ihre Augen weit
aufriss, als sie seinen weit aufgesperrten Mund sah, in dem vier Fangzähne
aufblitzten. Und seine Augen waren rot glühende Kohlenstückchen, die sich in
ihre Seele zu brennen
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