Die Qualen der Sophora
sie
beinahe Schuldgefühle darüber verspürte, dass sie jemanden hatte, mit dem sie
ihre Ängste und Sorgen aber auch die Freuden in ihrem Leben teilen konnte. War
das nicht ungerecht?
Nico war immer so selbstlos und dachte zuletzt an sich selbst, wenn es im
Universum auch nur ein bisschen gerecht zugehen sollte, dann verdiente sie doch
viel mehr jedes Glück als sie selbst oder jeder andere hier am Tisch.
„Hey!“, rief Damon King
hinterrücks draußen auf dem Flur an. Nico war nicht einmal bis zum Fahrstuhl
gekommen. Sie lehnte auf dem Boden sitzend an der Wand und weinte heiße Tränen.
King hatte gerade versucht, sich ihr anzunähern und kniete neben ihr nieder um
sie tröstend in den Arm zu nehmen. Damon blieb wie ein tollwütiger Hund im Gang
stehen und würde ihm an die Gurgel gehen, wenn er es auch nur wagte, sie
anzufassen. Natürlich ließ sich der Chinese nicht davon abhalten. Damon spuckte
innerlich Gift und Galle, bemühte sich aber nach außen hin die Fassung zu
bewahren.
King tat sein Verrat
nicht unbedingt leid. Nico hatte es ihm ja nicht unter dem Siegel der
Verschwiegenheit erzählt, sie hatte es ja nicht einmal selbst gewusst, dass sie
diese Besonderheit aufwies. Er konnte einfach nicht zulassen, dass dieses
gefühllose Rhinozeros sie weiterhin dermaßen quälte, dass er jeden Funken
Freude in ihr zum Erlöschen brachte.
Der Mann konnte so lange „Hey“ rufen, wie er wollte, es war King völlig
gleichgültig. Er zog Nico vorsichtig in seine Arme und drückte sie an sich. Sie
wehrte sich nicht, obwohl sie es sicher wollte. Das Schluchzen, das ihren
kleinen Körper erzittern ließ, war einfach zu heftig. Er sprach ein leises
Gebet, das er im Kloster gelernt hatte, weil er wusste, dass sie den Klang
seiner Muttersprache mochte und sie ihn als sehr tröstend empfand. Sie wollte
sie sogar lernen, obwohl sie eigentlich schon genug am Hals hatte.
„Was war das da drin?
Ich weiß, dass meine Trainingsmethoden nicht gerade deinen Ansprüchen
entsprechen, aber sie hat sich nicht beschwert. Ich wäre dir also sehr
verbunden, dich nicht einzumischen, großer Kung-Fu-Meister. Das Orakel selbst
hat den Befehl dazu gegeben und glaub mir, ich war darüber genauso wenig
begeistert wie du. Ein Mädchen wie Nico sollte nicht kämpfen. Das versuche ich
ihr klar zu machen, seit wir angefangen haben. Deswegen nehme ich sie so hart
ran. Mit dir hat sie tatsächlich Fortschritte erreicht. Das ist gut für sie und
nützlich, solange sie immer noch in ihrem menschlichen Körper gefangen ist.
Frag Salama, ob du das Training übernehmen kannst, wenn du mit ihr Tee trinkst.
Damit tust du mir einen riesigen Gefallen. Ich glaube nicht daran, dass sie es
jemals schafft, so gut zu werden wie Cat oder Romy. Vielleicht hast du ja mehr
Glück mit ihr.“
Zu dumm nur, dass Damon sich einem Befehl nicht einfach selbst entziehen
konnte. Sonst hätte er ebenfalls längst ein Schwätzchen mit Salama gehalten,
die immer noch der Meinung war, Damon könnte Nico ernsthaft etwas beibringen.
Er war genau wie King vom Gegenteil überzeugt und die Art, wie Nico jetzt
gerade drein sah, als ihr Freund sich anschickte, etwas zu erwidern, machte die
Sache auch nicht besser.
Kings Augen blitzten
wütend auf, als er den Worten des Mannes lauschte, der sich ein Krieger
schimpfte. Er verlor selten die Beherrschung, und dabei ging es meist nur um
Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Und davon gab es nicht viele.
Er strich Nico tröstend über den Kopf und zupfte einige Strähnen zurecht, die
wegen ihrer Locken ein bisschen abstanden. Sie gaben ihr das Aussehen eines
kleinen Mädchens, manchmal wirkte sie nicht älter als sein Patenkind. Diese
kindliche Seite musste beschützt werden, sie brauchte sie, um weiterhin die
Kraft zu haben, mit ihren Visionen fertig zu werden. Sie brauchte ihre Träume,
ihren Glauben an das Gute und ein wenig Sorglosigkeit. Das konnte doch sogar
ein Blinder sehen!
„Was bist du für ein
Mann, Krieger?!“, spie ihm King angeekelt entgegen.
Er lehnte Nico behutsam mit dem Rücken gegen die Wand, um dann blitzschnell aus
der Hocke hoch zu schnellen, wobei er sein Bein in einer Arabesque ausgestreckt
nach oben schnellen ließ. Er traf Damon hart auf dem Solar Plexus, der auch bei
Immaculate ein empfindlicher Punkt war, der ihm den Atem rauben würde. Dann
packte er ihn an der Kehle und warf den um ein paar Kilo schwereren Mann gegen
die Wand gegenüber der, an der Nico lehnte, um ihm mit stechendem Blick in
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