Die Qualen der Sophora
die
Augen zu sehen.
„Allein für dein feiges
Reden solltest du deines Amtes enthoben werden! Als Lehrmeister solltest du
fähig sein, deine Schüler einzuschätzen! Du kennst Nico schließlich länger als
ich! Du weißt genau, dass sie niemals den Mund aufgemacht hätte, weil sie alles
gibt, um deinen Ansprüchen zu genügen! Es wäre deine Aufgabe, sie nicht über
gewisse Grenzen zu treiben! Du versteckst dich also hinter dem Rock eurer
spirituellen Führerin? Weil sie bestimmt hat, dass es dir zufällt, Nico den
richtigen Weg zu weisen? Weil es dir nicht in den Kram passt? Ich hatte
fünfjährige Schüler, die mehr Einsicht gezeigt haben als du in diesem
Augenblick! Müsste ich die Riege der Krieger nur an dir einschätzen, würde ich
meinen, dass eure Welt verloren wäre! Du hast die große Ehre erteilt bekommen,
eine zukünftig sehr mächtige Kriegerin auszubilden und du trittst sie mit
Füßen, als wäre sie nicht besser als die niederste Lebensform auf diesem
Planeten! Ich werde euer Orakel auf Knien anflehen, mir diese Aufgabe zu
übertragen! Es ist mir vollkommen egal, was ich dafür tun muss! Hauptsache, sie
muss nicht länger unter dir leiden!“
King wünschte sich,
schon umgewandelt zu sein, weil er dann wirklich in der Lage wäre, für Nico
einzutreten, wie sie es verdiente. Er hatte keine Angst, Schläge einzustecken.
Er hatte seine Worte ernst gemeint. Feuertaufe, oder was auch immer den
Immaculate einfallen konnte, ihn zu prüfen, er würde es tun. Er vertraute Nico,
sie hatte ihn als Teil ihres Kreises gesehen, für ihn gab es keinen Raum für
Zweifel. Sie würde ihm jederzeit beistehen und würde an seiner Stelle auch
keine Angst zeigen. Sie war unglaublich mutig, wie dumm war dieser Kerl hier,
das nicht zu sehen?
Sie hatte den Mut,
diesen Mann zu lieben. Mit einem angewiderten Ausdruck ließ er von dem Krieger ab, als hätte er Angst,
sich durch dessen Berührung zu besudeln. Er wich jedoch nicht zurück, weil er
ihm Gelegenheit geben wollte, ihm eine zu verpassen, falls es ihm danach war.
Er sah seinen Gegnern immer ins Gesicht. Jedem anderen Krieger hätte er den
Rücken zugedreht, aber dieser hier schien nicht einen Funken Ehrgefühl im Leib
zu haben. Da war bestimmt alles möglich, also auch ein Angriff hinterrücks.
Nico weinte immer noch,
doch sie hatte den Kopf nun schwer gegen die Wand hinter sich gelehnt, um zu
Damon und King aufsehen zu können. Sie hatte nicht gehört, was Damon gesagt
hatte, aber Kings Worte trafen sie mitten ins Herz. Einerseits tat es gut, dass
jemand für sie einstand, doch zugleich wurde es ihr bewusst, dass die Rede vom
falschen Mann gehalten wurde. Die Worte waren an Damon verschwendet, es war ihm
vollkommen gleichgültig, was aus ihr wurde. Es interessierte ihn nicht, wie
schwer es ihr fiel, sich mit ihrem Schicksal als Kriegerin abzufinden.
Sie wollte nicht, dass sich die Männer ihretwegen stritten. Es wäre
schrecklich, wenn Damon King wehtun sollte. Das durfte sie nicht zulassen. King
wollte nur ein guter Freund sein. Sie versuchte, sich vom Boden zu erheben,
doch ihre Knie gaben auf halber Höhe unter ihr nach und sie glitt mit dem Rücken
an der Wand zurück auf den Boden.
Aufhören... Bitte,
hört auf! , flehte sie still und
bedachte die beiden Männer mit inständigem Blick, obwohl sie durch den
Tränenschleier hindurch nur noch verschwommen sehen konnte.
Als King zutrat, sah
der sowieso schon geschwächte Damon für einen Augenblick Sternchen. Ihm blieb
tatsächlich die Luft weg und als er wieder zu Atem kam, schmerzte nicht nur
sein Kopf. Den Breed zu schlagen, wäre Damon niemals in den Sinn gekommen.
Nicht einmal nach dieser direkten Herausforderung. Was King auch immer von ihm
denken mochte, Damon hatte durchaus einen Funken Anstand im Leib. Dieser war
nur nicht groß genug, um das Feuer der Vernunft länger als ein Strohfeuer lang
brennen zu lassen.
Ja, Damon? Was bist
du für ein Mann?
Diese Worte hatte er
schon einmal gehört. Vor ein oder zwei Jahrhunderten. Genau wusste er es nicht
mehr. Er hatte diesen Satz in seinem Gehirn unter Dingen, die nicht wichtig
waren abgespeichert. Dabei war es genau diese eine Frage, die ihn seit Jahr und
Tag verfolgte und auf die er immer noch keine zufriedenstellende Antwort geben
konnte. Sowohl dem Fragesteller als auch sich selbst.
Damon wich Kings stechendem Blick nicht eine Sekunde lang aus. Er konnte froh
sein, dass der Breed nicht voll entwickelt war. Sonst wäre ihm das schlecht
bekommen.
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