Die Qualen der Sophora
dagegen einfach nur zu fragen, was das Ganze hier
zu bedeuten hatte, nachdem sie endlich einmal hinter die Geheimnisse der
Immaculates gekommen zu sein glaubte. Sie hatte sich vor der wilden Flavia
gefürchtet und hinter Salamas mütterlichem Äußeren niemals diese Gewalt
vermutet, die in ihrer Kriegerseele wohnte. In Astyanax glaubte sie, lesen und
seinen zweifelhaften Charakter durchschauen zu können, doch sie machte nicht
einmal einen Kratzer auf die eingerostet anmutende Oberfläche und wohl
ausschließlich in der Vergangenheit lebende Person, die er nicht war. Astyanax
war mit Computern vielleicht nicht so gut wie Raynor Avery, aber im Gegensatz
zu Nathan konnte er einen PC starten und Emails verfassen, ohne dass das Ding
in Brand geriet.
Dann klatschte der Großvater, wie ihn nicht mal
Awendela nennen durfte, in die Hände. Das Echo seines Klatschens hallte in
seiner Lautstärke im Saal wider wie ein Echo in den Bergen. Die großen
Haupttüren öffneten sich und die Krieger wandten ihnen erwartungsvoll ihre
Köpfe entgegen. Eine ganze Weile lang geschah... nichts.
Astyanax räusperte sich. Offenbar lief das hier nicht nach Plan. Doch bevor er
ein weiteres Mal gebieterisch in die Hände klatschen konnte, stürmte plötzlich
lauthals bellend ein graubrauner Wolfshund über den antiken Marmorboden. Seine
Krallen schabten bei jedem Schritt über die Motive aus Mythologie und
Geschichte und sein freudiges Bellen war lauter als der überraschte Fluch auf
Astyanax’ Lippen.
Was hatte dieser räudige Köter hier zu suchen? Wer
wagte es, diese Zeremonie zu stören und ihn daran zu hindern, die Gaben aus dem
Schatz der Nibelungen unter den neuen Kriegern zu verteilen? Wer?
Rowtag stürmte direkt in die Reihe der stolzen Krieger.
Sie sprang freudig von einem zum anderen und stürzte sich dann auf Awendela,
ohne auf dessen wunderschönes Kleid Rücksicht zu nehmen. Allerdings war die
Hündin keineswegs schmutzig, sondern frisch gebadet. Dem Anlass angemessen.
Einem Anlass, zu dem sie bedauerlicherweise nicht eingeladen worden war.
Genauso wenig wie ihre Herrin.
Die Braut konnte sich kaum nach dem Halsband der Hündin bücken, um sie
festzuhalten. Das Kleid war sehr eng, aber es stand ihr ausgezeichnet. Tiponis
schwarzgewandete Gestalt erschien zwischen den gigantischen Flügeltüren und
warf ihrer einstigen Anhängerin einen wohlwollenden Blick zu, der unter der
wallenden schwarzen Kapuze verborgen blieb.
Langsamen Schrittes ging sie vorwärts. Einen antiken Stab mit eingeschnitzten
Runen in der rechten Hand führend, der jedes Mal hart auf den Boden schlug,
sobald sie den rechten Fuß nach vorne bewegte. Sie war sozusagen die dreizehnte
Fee, die niemand geladen hatte, obwohl Awendela ihr ebenfalls das Leben
verdankte und das war schon fast ein Grund, sich die Glückwünsche zu diesem
freudigen Ereignis zu verkneifen.
Doch im Gegensatz zu Astyanax war sie kein Immaculate,
der lange zürnte. Kurz vor den Kriegern hielt sie inne. Rowtag bellte laut und
wollte zurück zu ihr, aber Wendy hielt sie weiterhin. Tiponi schob ihre Kapuze
zurück und entblößte ihr makelloses, strahlendschönes Haupt. Ihre
nachtschwarzen Augen glühten kurz auf. Ein Raunen ging durch die Riege der
weiblichen Kriegerinnen und sie spürte den neugierigen Blick des Breed-Mannes auf
sich, den sie geflissentlich ignorierte. Ein Date mit ihr bei Vollmond würde
ihn töten.
„Guten Abend zusammen.“ Ihre Stimme war klar und rein.
Jeder konnte sie bis in die letzte Reihe hören, obwohl sie nicht einmal sehr
laut sprach.
"Astyanax verzeiht der Tri’Ora hoffentlich die
Unterbrechung. Aber bevor er sich daran macht, der Braut und ihren Mitstreitern
Geschenke zu übergeben, wird er derjenigen, die seiner Enkelin ihr Leben an
erster Stelle verdankt, hoffentlich erlauben zu gratulieren.“
Damit nahm sie ihm den Wind aus den Segeln und die
Überraschung, die er den Kriegern hatte zukommen lassen wollen. Eine kleine
Spitze, die ausreichend war, dem leichten Unmut, den sie verspürte, Luft zu
machen.
Alles an Tiponi war in diesem Moment hoheitsvoll und genauso befehlsgewohnt wie
Astyanax selbst. Die Tri’Ora hatte eine unglaubliche Präsenz. Eine Prinzessin
aus Tausendundeiner Nacht. Ein teuflischer Kontrast zur Braut, die gegenüber
der schwarz gewandeten Tri’Ora in ihrem Kleid, beinahe engelsgleich wirkte, wenn
man die Narben in ihrem Gesicht außer Acht ließ.
Astyanax, keineswegs dumm und wohlwissend wen er vor
sich hatte, nickte nur und
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