Die Quelle
El-Schaddai anzuerkennen. Man zwang sie nicht, ihre alten Götter völlig aufzugeben, weil sie eine Frau war; aber sie mußte El-Schaddais Überlegenheit beteuern. Wenn sie es tat, übergab Zadok sie dem Mann, der sie gefangengenommen hatte, mit der Ermahnung: »Habt viele Kinder.« Bei seiner eigenen Sklavin hatte Zadok sich an die gleiche Regel gehalten. Jetzt erlebte er mit Befriedigung, daß sie zu einem wahren Kinde El-Schaddais wurde.
Am nächsten Tag kamen, wie El-Schaddai es vorhergesagt hatte, Epher und Ibscha mit erfreulichen Nachrichten aus dem Westen zurück. »Es ist ein Land des Öls und des Honigs«, meldete Ibscha.
»Ein Land mit Heeren«, fügte sein rothaariger Bruder hinzu. »Aber die sind nicht so groß, daß wir sie nicht besiegen können.«
»Ein Land mit grasbedeckten Weiden«, fuhr Ibscha fort.
»Es hat Städte, von Mauern umgeben«, berichtete Epher. »Aber Mauern kann man erklimmen.«
»Ein Land mit mehr Bäumen, als ich je zuvor gesehen habe«, sagte Ibscha. »Mit Bergen und Tälern, die das Auge erfreuen.«
»Und mit Straßen, über die wir ziehen können«, erzählte Epher den Umstehenden, »und Felsen, hinter denen wir Deckung nehmen können.«
»Ein Land, das ich nicht genügend schildern kann«, sagte Ibscha. »Wo hier ein Strauch wächst, steht dort ein Dutzend
Ölbäume. Wenn ihr die Äste schüttelt, fallen die Früchte herab wie ein schwarzer Regen.«
»Sie haben Speerspitzen aus Metall«, berichtete Epher, »und wir haben Stein.« Er zeigte seinen Brüdern einige metallene Waffen, die er unterwegs eingehandelt hatte.
Dann redete Zadok zu den Seinen. Es war der letzte Abend, den sie in der Wüste verbrachten. »El-Schaddai hat gesprochen. Wir werden das Land besetzen. Die Ölbäume werden unser sein, und die Mauern der Stadt werden sich uns auftun.« Die Hebräer wollten jubeln, aber Zadok gebot ihnen zu schweigen, denn er wußte, wie Schweres ihnen bevorstand. Wenn die Dämmerung sich auf die Zelte senke, so befahl er ihnen, sollten sie sich versammeln. Als es soweit war, standen sie da: eine Schar hagerer, sehniger Gestalten, in Felle und gewebte Gewänder gekleidet, Sandalen an den Füßen - eine kraftvolle Schar. Zadok hieß sie niederknien, während er betete: »Mächtiger El-Schaddai, den kein Mensch je von Angesicht zu Angesicht erblickt hat, in Deine Hände befehlen wir uns. Es ist Dein Wunsch, daß wir unsere alte Heimat wegen der Täler und der Städte verlassen. Bewahre uns, bewahre uns vor den Gefahren, die wir nicht vorauszusehen vermögen.« Emporgewandten Gesichtes priesen die Hebräer ihren Gott, jeder Mann und jedes Weib vertraute sich dem Einen Gott an, der über der Wüste schwebte. Dann erhoben sie sich, und im Licht flackernder Binsen packten sie ihre Zelte. Während sie arbeiteten, wanderte Zadok der Gerechte allein in den Schoß der Wüste, denn nur er ermaß, welch erschreckend schweren Versuch seine Kinder unternahmen: den Sprung vom Altüberkommenen ins Neue. Niemals hatte er eine Stadt betreten, niemals in vierundsechzig Lebensjahren. Wohl hatte er die Belagerung mancher Stadt geleitet und seine Söhne zum Verhandeln in ihre Mauern geschickt. Und seine kleine Sklavin stammte aus einer kanaanitischen Stadt des Nordens, von der sie ihm gern erzählte, wenn sie beieinanderlagen. Er selbst jedoch hatte nie so ganz begriffen, was eine Stadt war, allenfalls dies: So von Menschen wimmeln mußte sie, daß El-Schaddai sich der engen Pfade dort nicht zu bedienen schien. Andere Götter mochten in Städten wirken - El-Schaddai nicht. Und doch hatte der alte Mann erkannt, daß für sein Volk die Zeit gekommen war, das Leben in der Stadt zu versuchen, so ungewiß und bedenklich es auch war. El-Schaddai Selbst hatte es befohlen, und die Augen der älteren Söhne hatten aufgeleuchtet, als sie Ephers und Ibschas Worten lauschten; Zadok aber blickte zurück in die Wüste.
Wie fern die Horizonte waren in dieser sternübersäten Nacht, wie kraftvoll geschwungen die von El-Schaddais Hand geformten Felsstürze. Wie lieblich die Wasserstellen, wenn sie endlich gefunden waren, und wie grausam die Skorpione in der Mittagssonne. Die Wüste fordert das Härteste von dem Mann, der sich ihrer Herausforderung stellt: »Komm und sieh, ob du Mut hast.« Aber die Wüste mit ihrer grenzenlosen Weite treibt den Menschen auch dazu, die letzten Fragen zu überdenken -Fragen nicht nach dem, was er morgen essen wird, nicht nach dem Kind, dessen Geburt bevorsteht, nicht nach der
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