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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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El-Schaddais, wurden mit dem Tode bestraft. War das Urteil aber einmal gesprochen, wobei der alte Mann stets daran gemahnte, daß keinerlei Berufung möglich sei, gab er dem Schuldigen meist Gelegenheit zur Flucht, und es war selbstverständlich, daß jeder Verurteilte einen Esel und drei Wasserbeutel mitnehmen durfte. Rückkehr zur Sippe jedoch war verboten.
    Selbst an mögliche Laster hatte der Alte gedacht. Von ihm war die Vorschrift eingeführt worden, daß unverheiratete Männer nicht allein Schafe scheren durften: »auf daß kein Greuel stattfinde«; zwei unverheiratete junge Männer durften, wenn sie sich zur Erntezeit bei seßhaften Bauern verdingten, nicht allein in einer Hütte wohnen: »auf daß kein Greuel entstehe«; und weder durften Männer sich als Frauen noch Frauen sich als Männer kleiden: »auf daß kein Greuel geschehe«. In jahrhundertelanger Wüstenerfahrung hatten sich die Hebräer ein vernünftiges Gesetz geschaffen, das Zadok auswendig wußte und mündlich an seine ältesten Söhne weitergab, die nach seinem Hinscheiden die Richter der Sippe werden sollten: »Ein Mann darf nicht zwei Schwestern heiraten; es wäre ein Greuel. Er darf nicht Mutter und Tochter heiraten; es wäre ein Greuel.« Und da es wichtig war, daß das Leben der Familie und der Sippe ohne Unterbrechung weiterging, bestand Zadok auf Einhaltung des alten Gesetzes, nach dem einer der Brüder eines kinderlos gestorbenen Mannes die Witwe sogleich schwängern mußte. Es hatte nichts zu sagen, ob der Bruder bereits verheiratet war oder ob er seine Schwägerin verachtete: Sofern die Witwe keine Kinder hatte, war es Pflicht der Brüder, ihr beizuliegen, bis sie empfing - im Namen ihres toten Mannes, auf daß sein Name erhalten blieb und der Sippe Kinder gezeugt wurden.
    Wenn Zadok sorgsam darauf bestand, daß auch im Geschlechtlichen die Gesetze geachtet wurden, so hieß das noch keineswegs, daß er selbst derlei Dinge geringschätzte: Vor zwei Jahren - er stand damals im Alter von zweiundsechzig Jahren, seine Kinder waren herangewachsen und seine Frauen vielbeschäftigt - hatte er unter einer Gruppe von Sklavinnen, die von seinen Söhnen nach einem Gefecht mit Dorfbewohnern gefangengenommen waren, ein sechzehnjähriges Mädchen von besonderem Liebreiz entdeckt. Er hatte die Sklavin für sich gefordert und viel Freude daran gefunden, sie während der langen Nächte im Zelt bei sich zu haben. Sie war eine Kanaaniterin und Baal der Allmächtige ihr Gott. Aber wenn Zadok bei ihr lag und er ihre Wärme an seinem Leib spürte, redete er zu ihr gegen den kanaanitischen Gott, bis er überzeugt war, daß er ihren Sinn von Baal abgewendet und für den wahren Gott gewonnen hatte.
    Seine größte Freude aber waren seine dreißig Kinder. Seine ältesten Nachkommen hatten nun schon eigene Familien innerhalb der Sippe, manche auch Enkel, so daß Zadok sich rühmen mochte: »Ein Jäger freut sich, wenn er einen Köcher voller Pfeile hat, die er in die Zukunft schießt.« Besonders liebte er seine jüngeren Kinder, die ihm seine vierte Frau geboren hatte. Drei waren es: Epher, der Wagemutige, immer bereit, einen Feind anzugreifen - derselbe, der jetzt auf Erkundung nach Westen gezogen war; Ibscha, jünger und ruhiger, aber wohl auch nachdenklicher; und vor allem Lea, ein Mädchen von siebzehn Jahren, noch unvermählt, doch mit wachsamen Augen die verschiedenen Männer beobachtend, die der Vater ihr als möglicherweise zur Ehe geeignet vorschlug. Hätte ein Mann nur diese drei Kinder gezeugt, so könnte er doch stolz genug sein, und sie in höherem Alter bekommen zu haben, war eine große Freude.
    Seit vielen Jahren sprach Zadok am späten Nachmittag zu Lea und anderen seiner Kinder, die gern zu ihm kamen, von der Überlieferung der Hebräer. Neuerdings erschien auch die junge Sklavin jeden Tag, setzte sich zur Rechten ihres Herrn und hörte freudig zu, wenn er von seinem Vorfahren Noah erzählte, der einer großen Flut entkommen war, oder von Nimrod, dem gewaltigen Jäger, oder von Jubal, der die Harfe erfunden hatte. Stundenlang redete er über diese Männer, erzählte einmal diese und einmal jene Geschichte, jedesmal aber eine von Abraham, der als erster durch die Wüste gezogen war - »an denselben Steinen, auf denen wir heute sitzen, kam er vorbei«. Besonders gern sprach er von Abraham und seinem Sohn Isaak: Durch das Verbot des Menschenopfers habe sich El-Schaddai als barmherziger Gott erwiesen und damit als allen anderen Göttern so

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