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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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beleidigen: »Ein Fremder verbirgt sich in unseren Mauern und tötet eine Frau, der du eine Freistatt gewährt hast. Bedeutet ein gegebenes Wort nichts mehr in unseren Tagen?« Sie redete auf ihn ein und erinnerte ihn daran, wie ihr Vater, als er Statthalter gewesen war, auf solche Kränkung geantwortet habe: »Als damals die Hethiter die außerhalb der Stadtmauer wohnenden Bauern brandschatzten, griff er sie an, nahm eine Menge gefangen und machte sie zu Sklaven. Heute sind ihre Söhne die besten Krieger, die du hast.« Uriel fragte, ob sie meine, auch er solle einen Ausfall machen und die Hebräer vernichten. Rahab antwortete: »Das hättest du gestern tun sollen. Du willst nicht sehen, wie ernst die Gefahr ist. Geh und töte die Hälfte von ihnen, und du wirst dieser Gefahr jetzt, solange du noch kannst, Herr werden. Warte ab, und du wirst schreckliche Folgen erleben.«
    In dieser Nacht wanderte der Statthalter stundenlang ruhelos durch seine Stadt. Er sah den Reichtum, zu dem Makor unter seiner Herrschaft gelangt war, sah die Werkstätten der Handwerker, die mit Korn gefüllten Speicher, die sechzig Häuser, die zu seiner Zeit hinzugekommen waren. Sein Makor, eine Stadt des Überflusses und des Friedens, durfte nicht dadurch in Gefahr geraten, daß er sich unentschlossen zeigte. Aber er war unentschlossen. Eben dachte er noch: Ja, ich sollte wohl zuschlagen und die Hebräer vernichten, doch sofort kamen ihm die Worte der Versöhnung in den Sinn, die Zadok gesprochen hatte. Und so gelangte er zu dem Schluß: Nein -ein solches Volk anzugreifen, das wäre ein Verbrechen. Als er aber zu den Holzbauten an der Nordmauer kam, deren Inhalt so geheimgehalten wurde, fragte er seine Hethiter: »Könnten wir die Hebräer morgen schlagen?«
    »Mit Leichtigkeit«, versicherten sie ihm. Und zu Hause fragte er Zibeon, ob er glaube, daß man die Hebräer besiegen könne. Auch der junge Mann sagte: »Mit Leichtigkeit. Aber jeden Tag beobachten sie genau, was wir tun, und mit jedem Tag werden sie stärker.«
    Bei Morgengrauen hatte Uriel seinen Entschluß gefaßt: Er mußte Zeit gewinnen. Bei den Holzbauten nahe dem Brunnentor gab er den Hethitern seine Befehle: die Pferde zu satteln und in voller Rüstung auf der Straße nach Damaskus den Hebräern, die den Anblick der großen, kräftigen Tiere nicht gewohnt waren, ein Schauspiel der Macht Makors zu bieten. Kurz nach Sonnenaufgang öffnete sich das Tor. Uriels Reiter galoppierten ein paar Meilen ostwärts, schwangen die Speere mit den bronzenen Spitzen und kehrten dann in die Stadt zurück. Zadoks Söhne merkten sehr wohl, welche Lehre ihnen da erteilt werden sollte. Von einer Stelle bei den Ölbäumen aus sahen Epher und Ibscha, wie die Pferde über die Straße jagten. Und sie beobachteten sehr genau. Diese mächtigen Tiere und die Art, wie die Berittenen ihre Speere handhabten - das war deutlich genug. Sobald die staubbedeckten Pferde verschwunden waren, eilten die jungen Männer zu Zadok. Erregt riefen sie: »Die Kanaaniter wollen uns vernichten. Es muß zum Krieg kommen. Deshalb meinen wir, du solltest sofort das Zeichen zum Kampf geben.« Sie setzten sich zu dem alten Mann, zeichneten den Grundriß der Stadt in den Sand und erklärten ihm, wie sie mit Hilfe der Frauen, die zum Brunnen gingen, die Stadt ausgekundschaftet und einen Plan entworfen hatten, in die Wassermauer einzudringen und den Brunnen zu besetzen. »Wir können sie durch den Durst bezwingen.«
    »Aber sie haben Zisternen«, sagte Zadok.
    »Wir können warten«, erwiderten die Jungen. Er verbot ihnen jedoch, solche Pläne auch nur zu erörtern. Schweigend entfernten sich die Söhne. Aber sie liehen sich Kleider von ihrer Schwester Lea, gingen als Frauen verkleidet zum Brunnen und erkundeten alles, was sie im Fall eines Krieges brauchten. Und sie sprachen mit allen jungen Männern und warnten sie vor den Absichten der Kanaaniter. Während dieses Sommers der Ungewißheit ging Lea täglich zum Brunnen, durch das Tor und durch die von Menschen wimmelnden Straßen mit den so verlockenden Läden. Aber wie die anderen Mädchen von guter Erziehung mied sie den Tempel der Dirnen und hielt die Augen gesenkt, wenn sie durch die Stadt zum nördlichen Tor mit dem langen düsteren Gang der Wassermauer schritt. Lea, siebzehn Jahre alt, war ein schönes Mädchen mit der geschmeidigen Anmut derer, die, den Wasserkrug auf dem Haupt, schon zu vielen Brunnen geschritten sind. Schon mancher Kanaaniter hatte sie mit Wohlgefallen

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