Die Quelle
Ihr sollt sie weiterhin anbeten wie bisher. Für mein Volk aber sind ihre Bräuche Greuel.
URIEL: Das ist ein hartes Wort. zadok : Greuel.
Die beiden blieben im Schatten Baals auf dem Gipfel, jeder verzweifelt bemüht, den andern zu begreifen und zugleich umzustimmen. Doch unter ihnen breiteten sich Felder aus, die zu den fruchtbarsten in ganz Kanaan gehörten, und eine Stadt, wohlgeordnet wie kaum eine andere. Eines war beiden Männern gewiß: Ihre so tatkräftigen Völker konnten bei gutem Willen aus diesem Land hier ein kleines Paradies machen. Zadok sprach als erster. »Die Felder sind sehr fruchtbar«, sagte er ruhig. »Dort, wo wir vorübergezogen sind, trugen die Ölbäume nicht so viel Frucht wie eure.«
»Deine Leute sind arbeitsam«, sagte Uriel, gern bereit, die Gegensätze zu mildern. »Von allen Ländern, die wir gesehen haben«, fuhr Zadok fort, »ist dies das beste. Wir hoffen, viele Menschenalter lang hier zu bleiben.«
Es war eine Geste wahrer Versöhnlichkeit. Uriel beantwortete sie mit den Worten, die die Menschen gebrauchen, seitdem sie gelernt haben, sich gütlich zu vergleichen: »Ich bin sicher, daß wir zu einer Übereinkunft kommen können.« Oberflächlich betrachtet, konnte er sich sogar im Recht fühlen. Denn zu Beginn ihrer Geschichte hatten Kanaaniter und Hebräer denselben Gott gehabt, El, eine unsichtbare Macht. Schon bald aber änderte sich die Vorstellung von diesem gemeinsamen Gott: Die Kanaaniter engten Els umfassendes Wesen immer mehr ein. Als Städtebewohner machten sie ihn zum Gefangenen ihrer Mauern, holten ihn gleichsam herab in die Welt der Menschen, wo sie ihm einzelne Aufgaben zuweisen konnten, indem sie aus dem einen Gott den Baal und die Astarte und ein Heer niederer Gottheiten werden ließen, bis Els Kraft sich erschöpft hatte. Die Hebräer hingegen, die zu Beginn denselben Gott mit den gleichen Eigenschaften gehabt hatten, befreiten ihn von allem Einengenden und brachten damit eine Entwicklung in Gang, die ihn schließlich zu einem unendlichen Gott von unendlicher Macht werden ließ. Jeder Wandel in der Vorstellung von El während der Zeit, da die Hebräer in der Wüste lebten, führte zu weiterer Vergeistigung und zugleich zu weiterer Verstärkung seiner Macht. Sie nannten ihn Elohim: »Alle Götter«; oder Elijon: »Der Höchste«; oder El-Schaddai: »Der Allmächtige«. Und schließlich gaben sie das Wort El ganz auf, nannten ihn bei gar keinem Namen mehr und bezeichneten ihn nur noch durch die geheimnisvollen, unaussprechlichen Buchstaben JHWH. Spätere Geschlechter allerdings sollten die Strenge dieser bis zum letzten geführten Vergeistigung durch die Hebräer wieder aufgeben und ihm abermals einen Namen geben: Gott.
So war es die Tragödie der Kanaaniter, daß sie den Hebräern zu einer Zeit begegneten, da beide Völker sich am Scheideweg getrennt hatten: Die Kanaaniter erniedrigten den Begriff von Gott, während die Hebräer ihn erhöhten. Mehr als tausend Jahre dauerte der daraus entstehende Streit zwischen den beiden Gottesanschauungen, und oft sah es so aus, als obsiege der kanaanitische Baal.
Zadok nahm des Statthalters Entgegenkommen an. »Wir werden Baal achten«, gab er zu, »aber du mußt deinen Tempelhuren verbieten, unsere Leute willkommen zu heißen.«
»Ich werde es ihnen sagen«, versprach Uriel, »bedenke jedoch, daß dieser Brauch den Wohlstand bewirkt hat, den du dort unten ausgebreitet siehst. Wenn deine Männer erst ein wenig mehr vom Ackerbau verstehen, werden sie die Priesterinnen schätzen lernen und selbst darauf bestehen, gemeinsam mit ihnen den Göttern zu huldigen.«
Da war die Schlange wieder! Da war die Wunde, die nicht heilen konnte - der ständige Griff der Stadt nach der Lebensart der Wüste. Uriel der Kanaaniter als überzeugter Städter konnte, wenn er auf Makor hinabblickte, gar nichts anderes denken als dies: Alles, was Menschen bisher erreicht haben, ist verwirklicht worden dadurch, daß der Mensch in der Stadt lebt und Götter verehrt, die in Städten entstanden sind. Nur innerhalb der Mauern konnte der Mensch es wagen, einen Tempel zu errichten, nur in dieser Sicherheit konnte er Wissen auf beschriebenen Tontafeln speichern. Was hatten denn die Männer, die durch die Wüsten streiften, in tausend Jahren vollbracht? Sie hatten keine Straße angelegt und kein Haus, keine Töpferscheibe erfunden und keinen Kornspeicher gebaut. Nur in einer Stadt wie Makor konnten die Menschen wirklich gedeihen. Die Geschichte des
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