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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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angesehen, seine Arbeit unterbrochen und ihr zugelächelt, wenn sie vorüberkam.
    Es war Zadoks Absicht, Lea einem jungen Hebräer zu vermählen, der die Fähigkeiten hatte, dereinst an der Führung der Sippe teilzuhaben, vielleicht gar ein Richter zu werden. Lea jedoch war bei ihrem täglichen Weg zum Brunnen auf einen stattlichen jungen Mann aufmerksam geworden, der oft in einem Winkel des Tors stand oder auf dem dreibeinigen Schemel Uriels saß. Das durfte nur einer: Zibeon. Noch nie hatte Lea ihm zugelächelt. Aber beide begegneten einander öfter, als daß es Zufall hätte sein können: Zibeon war am Haupttor. Zibeon war am Nordtor. Zibeon ritt auf einem Pferd am Olivenhain vorbei. Und einmal traf er Lea vor der Tür des Ladens, in dem die Tongöttinnen verkauft wurden. Sein liebenswürdiges Lächeln und sein zuvorkommendes Wesen waren so ganz anders als die rauhen Sitten der Wüste.
    Eines Morgens betrat Lea abermals die Stadt, und wieder hoffte sie, Zibeon zu sehen. Er war nicht da. Enttäuscht ging sie weiter, durch die Straße und dann aus dem hellen Sonnenlicht in den langen dunklen Gang der Wassermauer. Als sie aber die erste Wachtstube erreichte - sie stand in diesem Sommer leer, weil die Männer auf den Feldern arbeiteten -, wurde sie plötzlich so gewaltsam gepackt, daß ihr der Wasserkrug vom Kopf fiel und am Boden zerbrach, und in die Wachtstube gezerrt. Entsetzt wollte sie aufschreien. Aber Küsse verschlossen ihr den Mund. Entsetzt wollte sie sich wehren, denn noch nie hatte ein Mann sie so in den Armen gehalten. Doch dann merkte sie, daß es Zibeon war, und alle Furcht fiel von ihr ab. Lange und leidenschaftlich küßten sich die beiden; Lea wollte sich gar nicht trennen von dem Geliebten. Der aber sagte leise, daß sie einen neuen Krug brauche; er ließ sie in der Wachtstube, während er fortlief, einen neuen zu kaufen. Als er ihr ihn gab, wußte er zugleich guten Rat: Falls jemand merke, daß sie nun einen anderen Krug habe, solle sie nur antworten: »Ich muß ihn am Brunnen vertauscht haben.« Doch niemand fragte nach dem Krug, und an den folgenden heißen Sommertagen ging Lea oft zum Brunnen, jedesmal in der Hoffnung, daß Zibeon in der Wachtstube auf sie warte. Er wartete oft. Und es blieb nicht beim Küssen.
    Da bemerkte Epher eines Tages zufällig, daß Leas Wasserkrug anders aussah als die Krüge der übrigen Mädchen, und fragte sie, wie sie zu diesem gekommen sei. Sie errötete heftig und sagte: »Ich muß ihn am Brunnen vertauscht haben.« Er aber glaubte ihr nicht und bat eine ältere Frau, die ebenfalls Wasser holte, auf seine Schwester achtzugeben. Schon bald danach konnte ihm die Aufpasserin berichten, daß Lea und des Statthalters Sohn einander in der Wachtstube trafen. »In der Wachtstube.!« wiederholte Epher. Die beiden Wachtstuben in der Wassermauer - er kannte sie gut, denn er hatte sie als sehr wichtig in seinen Kriegsplan einbezogen. Er war freudig erregt zu hören, daß die Wachtstuben nicht besetzt waren. Zugleich aber war er angewidert bei der Vorstellung, daß seine Schwester sich dort mit einem Kanaaniter vergnügte. Epher hatte ja bei der Tempeldirne erlebt, wie die Kanaaniter es trieben. Schon wollte er seinem Vater das Schreckliche melden. Aber er ließ es bleiben. Denn er sah den alten Mann in tiefem Nachsinnen dasitzen: Zadok stellte für seine Hebräer die Gesetze auf, die sie für das neue seßhafte Leben brauchten. So beriet Epher sich mit seinem Bruder Ibscha. Von nun an überwachten beide Leas Tun.
    Schon bald wußten sie alles über das seltsame Gebaren ihrer Schwester. Eines Nachmittags waren sie beim Haupttor und hörten, wie sie sich von ihrem Geliebten verabschiedete. Sobald sie an den Wachen vorübergegangen war, packten sie Lea und schleppten sie zu Zadoks Zelt. Zibeon aber hatte einen Turm bestiegen, um ihr nachblicken zu können; als er sah, was da geschehen war, lief er, ohne noch andere zu benachrichtigen, hinter den Dreien her. Beim Lager der Hebräer holte er sie ein.
    »Sie hat mit den Kanaanitern gehurt!« schrie Epher seinem Vater zu. Zibeon, der eben angestürzt kam, schlug Leas Bruder ins Gesicht. Steinmesser blitzten auf. Die Hebräer hätten den jungen Mann getötet, wäre Zadok nicht dazwischengetreten.
    »Was hast du getan?« fragte er seine Tochter. »Mit einem Kanaaniter im Dunkeln.«, rief Epher.
    Wieder ging Zibeon gegen den jungen Hebräer los, aber Zadok wies ihn zurück und sah fragend auf Lea. Leise kam die Antwort: daß sie den

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