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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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schwerfällig wie er war, hatte Hemmungen, über seine Ängste wegen Jerusalem zu sprechen, und Kerith vermochte das, was sie quälte - schwere Bedenken in Fragen von Sitte und Glauben -, noch nicht in Worte zu fassen. So wurde der Augenblick versäumt, in dem wie nie wieder Gelegenheit war zu klärender Aussprache. Kerith sagte nur noch nüchtern: »Etwas wird schon geschehen.« Und das war alles, was sie an diesem Tag über Jerusalem sprachen.
    In der Mitte des Monats Ziw, als der Weizen in den Scheunen lag und die Gerste in den Säcken, besuchte Kerith die Frau des Statthalters. Dort hörte sie eine Neuigkeit, die eigens für sie bestimmt schien. »Der Feldherr Amram kommt nach Norden, um Megiddo zu besichtigen«, sagte der Statthalter. »Er hat angekündigt, daß er auch Makor besuchen wird, weil er unsere neuen Befestigungen sehen will.«
    »Wer ist der Feldherr Amram?« fragte Kerith. »Er ist verantwortlich für alle Festungen in König Davids Reich.« Kerith preßte ihre Hände zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Es war, als dröhne eine große Trommel in ihrem Kopf immer wieder das eine Wort: »Jerusalem, Jerusalem!« Endlich hatte sie sich gefaßt und fragte den Statthalter: »Darf ich gehen?«
    »Du willst es wohl Wiedehopf erzählen? Daß es noch mehr Löcher für ihn zu graben gibt?« Er fuhr mit dem Kopf auf und ab, und Kerith wußte, daß sie nun zu lächeln hatte.
    »Wenn ich darf, bitte.« Am Tor fragte sie die Wächter: »Habt ihr Jabaal gesehen?«
    »Wen?«
    »Den Wiedehopf.« Sie sagte es, ohne zu zeigen, wie sehr ihr dieser Name zuwider war.
    »Er ist im Sklavenlager.«
    Sie ging zum Olivenhain, wo sie erst kürzlich Blumen gepflückt hatte, aber diesmal durchquerte sie ihn und erreichte das umzäunte Lager, in dem die Sklaven gehalten wurden. Schon am Tor ekelte sie der Gestank, doch sie faßte sich und fragte die Posten: »Wo ist Jabaal?« Auch die schüttelten ahnungslos den Kopf, bis sie abermals die ihr so peinliche Erklärung gab: »Der, den ihr Wiedehopf nennt.«
    »Folgt mir.« Ohne nach links und rechts zu blicken, führte ein Wächter Kerith durch den äußeren Kreis schmutziger Hütten. Ratten huschten über den Weg, und die Sonne schien auf Berge von Stroh, das von Läusen und Wanzen wimmelte. Schmutziger Schaum stand auf dem Wasser in den Tonkrügen, und selbst die wenigen Stellen, die dieser oder jener Sklave ein wenig gereinigt hatte, um dort zu sterben, wirkten in ihrer Sauberkeit nackt und gemein. »Jahwe, Allmächtiger HErr!« flüsterte Kerith. »Hier läßt Du Menschen leben?« Aber dann öffnete der Wächter das innere Tor und führte sie in den abermals umzäunten Teil. Hier hausten die gefährlichen Gefangenen, in erbärmlichen Hütten, deren Boden noch vom Frühlingsregen schlammig war, auf Klumpen verfaulten Strohs und alter Lumpen. Zerbrochene Schüsseln und Eßnäpfe, starrend vor Schmutz, lagen in den Ecken. Ein Sklave, gefangen bei einem Vorstoß in die Wüste, jetzt zu alt geworden für die Arbeit, schlurfte taumelnd vorbei, unfähig, noch gerade zu gehen. Und junge Männer, die in den Obstgärten ihrer Heimat nördlich von Tyros groß und stark und gesund gewesen wären, schlichen hier leeren Blicks ihrem Tod entgegen.
    »Jahwe! Jahwe!« flüsterte Kerith. Der Gedanke, daß diese Hölle im gleichen Land zu finden war, in dem ihr Jerusalem lag, überwältigte sie fast. Sie fühlte ihre Kräfte schwinden. Und nun gelangten sie zur elendesten Hütte von allen. Dort endlich erblickte sie ihren Mann. Er sprach mit jemandem, den sie noch nie gesehen hatte. Es war der Sklave Meschab. Irgend etwas in dem beherrschten, klugen Gebaren, mit dem er sich über das Stück Leder beugte, verlieh diesem Ort des Grauens eine Würde, die sie nicht für möglich gehalten hätte. Nachdem Kerith dem Sklaven zugenickt hatte, sagte sie zu Jabaal: »Mann, der Feldherr Amram kommt, um deine Mauern zu besichtigen.«
    Es war erstaunlich, wie diese Nachricht auf die beiden Männer wirkte. Wiedehopf sprang auf und zeigte seine Freude ohne Scheu. »Endlich der Mann, der uns versteht!« Meschab hingegen zog sich in eine Ecke zurück, nicht aus Furcht, wie Kerith zuerst dachte, sondern in unbewußter Vorsicht -offenbar kannte er den Heerführer, vielleicht von einer Schlacht her, denn die Feldherren der Hebräer hatten den Moabitern manche Schlappe beigebracht. Kerith spürte, daß Meschab gerade diesen Feldherrn nicht sehr gern wiedersah.
    Als sich jedoch Wiedehopf, wie um Bestätigung

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