Die Quelle
heischend, in seiner Freude nach Meschab umwandte, sagte der Sklave: »Amram ist der einzige, der uns verstehen wird.«
Kerith bat ihren Mann, mit ihr nach Hause zu gehen. Dort wollte sie das mit ihm besprechen, was für sie an dieser verheißungsvollen Nachricht wichtig war. Mit einigem Widerstreben begleitete der Baumeister seine Frau durch den Schmutz zurück. Als sie die Rampe zum Tor von Makor erreicht hatten, wandte sich Kerith um und blickte dorthin, wo sich, verborgen dem Blick, das Sklavenlager befand und fragte: »Wie kannst du Menschen, Menschen wie du, dort unten so leben lassen?«
»Sie leben überhaupt nur so lange, weil ich etwas für sie tun kann.«
Nachdem sie durch das Tor gegangen waren, sagte Kerith leise: »Ach, Jabaal, der Feldherr Amram bringt uns die Freiheit.«
»Ich hoffe, die Mauern finden Gnade vor seinen Augen.«
»Und wenn es so ist«, fuhr sie bedachtsam fort, »dann faß dir ein Herz und laß ihn wissen, daß du es gewesen bist, der die Leitung gehabt hat.« Aber es war, als hätten sie beide eine gewisse Scheu, nach Hause zu gehen, wo erst die eigentlichen, so unterschiedlichen Gründe ihrer Erregung über Amrams Kommen zutage treten mußten. So verweilten sie noch ein wenig vor dem Weinladen gegenüber dem Tempel. Hier sagte Kerith zögernd: »Du mußt vor allem von Jerusalem sprechen, Jabaal.« Der kleine Baumeister schwieg. »Du mußt ihn bitten, daß er dich nach Jerusalem holt. Jetzt.«
Wiedehopf stand in der Frühlingssonne, schluckte und trat von einem Bein aufs andere. Dann sagte er: »Nein, Kerith, ich muß ihm meine Anlage zum Schutz des Brunnens erklären.«
Kerith stieß einen kleinen Schrei aus, als habe sie sich verletzt, sah sich aber sofort um, ob irgendwelche Tagdiebe im Weinladen sie gehört hätten. »Lieber Jabaal«, flüsterte sie. »Hast du den Verstand verloren?« Und doch wollte sie auch gerecht sein. Deshalb fragte sie sofort: »Wenn er deinen Stollenbau gutheißt, wie lange dauert es dann noch?«
»An die drei Jahre.«
Sie biß sich in die Fingerknöchel. Drei Jahre! Noch drei Jahre hier und nicht in Jerusalem! Aber dann lächelte sie ihrem Mann voll Liebe und Mitgefühl zu und sagte: »Gut. Wenn es dein Wunsch ist, warte ich drei Jahre.« Aber war die Aussicht, die sich mit diesen ihren eigenen Worten eröffnete nicht schrecklich? Sie faßte seine Hände. »Was geschieht aber, wenn der Bau mißlingt?«
»Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß er nicht mißlingt.« In diesem Augenblick sagte sie ein bedeutungsschweres Wort. Nicht ihr eigener Wille ließ sie es sprechen, sondern ihre Sehnsucht: »Du bist ein Narr!« Niemals zuvor hatte sie das Wort in den Mund genommen, denn sie liebte ihren Mann und war ihm dankbar für all die Zärtlichkeiten, die er ihr erwies. Aber hatte sie sich nicht nach und nach eingestehen müssen, daß die maßgebenden Männer von Makor, etwa der Statthalter, recht hatten, wenn bei ihnen Jabaal nur noch als ein lächerlicher Kerl galt, der in den Straßen umherlief und seine spitze Nase in jede Zisterne und jeden Kornspeicher steckte wie ein richtiger Wiedehopf? Ja -er war wirklich ein Narr. Diese Enttäuschung hätte Kerith vielleicht noch ertragen können wie jede Frau von dreißig Jahren, die in ihrem Mann den Gefährten für den Rest ihres Lebens sieht. Aber in ihrem Fall war da noch etwas, war mehr, etwas ganz Besonderes: die heilige Stadt Jerusalem. Als junges Mädchen, trauernd um ihre Mutter, hatte sie die Burg zum erstenmal gesehen. Erst kurz zuvor war die Stadt durch König David den Jebusitern abgenommen worden. Der Anblick hatte einen unauslöschlichen Eindruck auf Kerith gemacht.
Ihre Mutter war im Winter gestorben, und der Vater hatte die Tochter mitgenommen, als er nach Jerusalem zog, um dort zu beten. Sie waren aus der Ebene gekommen, und da hatte die Stadt auf dem Berg vor ihnen gelegen, mit Schnee bedeckt, so weiß und rein wie ein Storch im Frühling. Ohne es zu wollen, hatte das Mädchen gerufen: »Oh, die Stadt Davids!« So wurde die Stadt bei den Hebräern genannt, aber in Makor lebte noch der uralte Name Jerusalem fort, was durchaus berechtigt war, denn die Stadt war ja erst seit ein paar Jahren hebräisch. Aber als Kerith mit ihrem Vater in der klaren, kalten Winterluft gestanden und auf Jerusalem geblickt hatte, da war ihr ahnend eines gewiß geworden: Diese Stadt wird nicht durch ihre Befestigungen unvergänglichen Ruhm gewinnen, sondern weil Jahwe selbst dort seinen geistigen Wohnsitz
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