Die Quelle
genommen hatte.
Von diesem ersten Augenblick an war in Kerith die Sehnsucht lebendig geblieben, dieser Stadt anzugehören, mit ihr in die neuen Aufgaben hineinzuwachsen und teilzuhaben an ihrem Glanz.
Ihr Vater hatte das gespürt. Während sie immer noch auf die beschneite Burg schauten, hatte er gesagt: »Noch ehe ich sterbe, wird der Tempel in Makor leer und verlassen sein, denn in Jerusalem wird Jahwes ewiger Tempel erstehen.« Sie hatte gefragt, ob er das Verschwinden ihres kleinen Tempels bedauern würde. Und das war seine Antwort gewesen: »Wie wir mit unserem Leib hinaufsteigen müssen, um nach Jerusalem zu gelangen, so müssen auch unsere Seelen die geistigen Berge überwinden, um Jahwe zu erreichen. Es ist Zeit daß wir uns aufmachen.« Aber der Vater war gestorben, ehe er seine Gemeinde zu einem neuen Verständnis des Glaubens hatte führen können, wie Jerusalem ihn nun versinnbildlichte, und die Priester in Makor, seine Nachfolger, hatten nicht seine Sehergabe besessen, sondern sich nur eifersüchtig an ihre nichtigen Vorrechte geklammert. So war es nicht zuletzt der Wunsch, ihrem Vater in seiner seherischen Schau nachzufolgen, wenn Kerith für immer hinauf wollte nach Jerusalem; hätte man sie aber nach einem Grund für ihre Sehnsucht gefragt, so wäre ihre ehrliche Antwort gewesen: »Weil Jahwe sich dort offenbaren wird.«
Diese ihre Sehnsucht mußte Keiith jedoch in scharfen Gegensatz zu ihrem Mann bringen. Auch er wäre nach Jerusalem gegangen, aber nur deshalb, weil es eine Stadt war, in der viel gebaut wurde. Er war auch willens, Kerith das zu bieten, was sie sich so sehr wünschte, denn er liebte sie. Was er nicht recht verstand, war ihre ausschließliche Bindung an Jahwe. Denn als ein Mann aus dem Geschlecht Urs war es ihm gewiß, daß Baal über das Erdreich von Makor herrschte, und er war zufrieden, hier an der altvertrauten Stätte zu bauen. Wo er arbeitete und woran, das sorgte ihn wenig, denn als guter Baumeister nahm er alle Aufträge entgegen und kümmerte sich wenig darum, wer sie ihm gab. Er hätte ebenso bereitwillig ein neues Sklavenlager gebaut wie etwa den kleinen Tempel in Makor erneuert - bot nicht gerade die erste Aufgabe eine Gelegenheit, die Sklaven länger am Leben zu erhalten, und war das etwa kein vernünftiges Ziel?
Jabaal, Baumeister und Baalsverehrer, und Kerith, Mystikerin und Jahwegläubige, erreichten ihr Haus am Ende der Straße. Hier nun hätte es zu einer Auseinandersetzung kommen müssen, wie sie sich während der langen Geschichte Makors noch oft ereignen sollte: zur bewußten Entscheidung zwischen diesem oder jenem Gott. Aber gleich vielen Menschen, die vor dem endgültigen Beschluß stehen, welchen Gott sie auf welche Weise verehren wollen, scheuten sich Jabaal und seine Frau Kerith vor dem offen ausgesprochenen Wort, in der Hoffnung, die Zeit werde alle Schwierigkeiten beseitigen und eine Entscheidung herbeiführen.
Kerith begann, indem sie darauf hinwies, falls der Feldherr Amram käme aber Wiedehopf hörte gar nicht zu, denn er war bereits dabei, neue Pläne zu entwerfen. Er rollte das Stück Leder zusammen, suchte sein Zeichengerät und kehrte zum Sklavenlager zurück, wo er einige Männer anwies, einen rohen Tisch zu zimmern, an dem er mit dem Moabiter in den entscheidenden Tagen, die vor ihm lagen, arbeiten konnte.
Auf der Lederrolle aus Kalbsfell, dessen Haare abgekratzt worden waren, beendete er mit einer Binsenfeder und mit Tinte aus Ruß, Essig und Olivenöl die Einzelheiten seines endgültigen Plans zur Sicherung des Brunnens. Meschab sah zu, wie der Baumeister sorgfältig darauf achtete, daß die Mittellinie, die den Grundriß des Schachts halbierte, genau in der Reihe der Fahnen verlief, deren erste am Berghang und deren sechste beim Haus des Statthalters eingezeichnet war. Er fragte, warum. Wiedehopf deutete auf die Mittellinie und sagte: »Die hier wird den Bau des Stollens ermöglichen.«
Weiter sagte er nichts, sondern begann, Teilzeichnungen auf fünfundvierzig weiche Tontäfelchen einzuritzen; als er damit fertig war, trug Meschab sie zu einem Ofen, wo sie hartgebrannt wurden. Damit hatten der Baumeister und sein Mitarbeiter am Vorabend der Ankunft des Feldherrn alles vorbereitet: eine große Lederrolle, die Amram nach Jerusalem mitnehmen konnte, um dort das Vorhaben zu erklären, und die unzerstörbaren Tontafeln für die Arbeit in Makor selbst. Am folgenden Morgen - es war ein strahlender Tag am Ende des Monats Ziw, als die blühenden
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