Die Quelle
Gebet erhoben sich die Frauen und legten ihre einfachen Opfergaben vor der Steinsäule nieder. Da sah die eine plötzlich den Moabiter und schrie laut auf. Wiedehopf lief auf sie zu. Als sie ihn erkannte, lachte sie unsicher. »Ich sah den da, und ich dachte, er will mich töten.«
»Er tötet niemanden«, versicherte ihr Wiedehopf.
Er kannte die beiden: Lea und Mirjam waren es, zwei Hausfrauen, die in den wesentlichen Dingen Jahwe vertrauten, bei häuslichen Sorgen aber Baal um Hilfe anriefen.
»Warum hast du gebetet, Mirjam?« fragte er die zweite.
»Mein Sohn geht nach Jerusalem, und ich habe darum gebetet, daß König David gnädig auf ihn sieht und ihm eine Stelle im Heer gibt.«
»Das wird er«, sagte Wiedehopf zuversichtlich der erleichtert Seufzenden. Als die Frauen gegangen waren, wandte er sich an Meschab: »Bleib hier sitzen, während ich bete.« Er ging allein zum Monolithen und warf sich vor Baal nieder. Jetzt brachte er seinen häuslichen Kummer, den er so oft schon beiseite geschoben hatte.
Er trat vor den Gott: »Lieber Baal, mein Weib Kerith sehnt sich danach, in Jerusalem leben zu können, nahe dem Gott ihres Vaters. Aber meine Heimat ist Makor, hier bei Dir. Laß es geschehen, daß ich meinen unterirdischen Gang gut baue und daß König David ihn sieht und mich nach Jerusalem beruft, damit ich dort zum Ruhme Jahwes Bauten errichten kann.« Er drückte sein Gesicht in die Hände und versuchte in einer Geste der Demut mit kräftigem Fingerdruck seinen Kopf zusammenzupressen. Als er die Schmerzen spürte, entspannte er die Hände wieder und beendete sein Gebet: »Baal, ich bitte Dich nicht um meinetwillen, denn ich bin zufrieden, bei Dir zu leben. Aber mein Weib Kerith will nach Jerusalem, sie muß dorthin. Ihr Gott ist dort. Ihr Herz ist dort. Großer Baal, sende uns nach Jerusalem.«
Nie zuvor hatte er all dies auszusprechen gewagt, weder vor sich noch vor seiner Frau, aber nun teilte er es mit Baal. In seinem schlichten Gemüt sah er auch keinen Widerspruch darin, Baal zu bitten, der Gott möge dafür sorgen, daß man ihn, den Baumeister, nach Jerusalem hole, um dort Tempel zu Ehren Jahwes zu errichten. Hätte Meschab, der glaubensstrenge Moabiter, das widersprüchliche Gebet gehört, wäre er voll Verachtung gewesen, denn er kannte nur einen Grundsatz: Ein Mann soll an seinem eigenen Gott festhalten.
In den nächsten zwei Wochen gelangen Wiedehopf keinerlei Fortschritte in der Verwirklichung seines Planes. Die Mauer war fertig, der Tempelhof gepflastert, und auch die Arbeiten an den Kornspeichern gingen der Vollendung entgegen. Wenn ihm nicht schnell etwas einfiel, mußte er damit rechnen, daß man seine tüchtige Mannschaft über das ganze Land verteilte. So versuchte er aufs neue, den Statthalter für den Bau von Schacht und Stollen zu gewinnen, aber der Beamte war nach wie vor nicht einmal fähig, die Möglichkeiten zu erkennen, die Wiedehopfs Plan barg. Eine düstere Stimmung befiel den Baumeister, und sie schwand auch nicht, als seine Frau es wagte, mit ihm über ihre Zukunft zu sprechen. An einem der warmen Frühlingstage, die Galilaea zu einem einzigen Blumengarten werden lassen, war Kerith in den Olivenhain gegangen, um Sträuße zu pflücken. Als sie die Blumen in den Zimmern verteilt hatte, nahm sie, etwas ermüdet, ein Bad. Beim Ankleiden wählte sie, aus Zufall und keineswegs absichtlich das grauwollene Gewand mit den eingefaßten Säumen und Bünden, in dem ihr Mann sie besonders gern sah. Dazu legte sie den Bernsteinanhänger an, der in der Nachmittagssonne leuchtete. Als Wiedehopf hereinkam, küßte sie ihn schon an der Tür und rief: »Sieh die Blumen!« Aber während er noch die bunte Pracht betrachtete, sagte sie ohne ersichtlichen Grund: »Wenn wir einmal fort sind von hier, werde ich Galilaea sehr vermissen!«
Er erschrak und fragte sie: »Wohin fort?« Doch schon ehe sie antwortete, wußte er es.
»Deine Arbeit hier ist getan. Wir gehen dorthin, wo Baumeister gebraucht werden. Nach Jerusalem.«
Er nahm sie bei der Hand, zog sie an sich und küßte sie. »Ich möchte dich so sehr gern nach Jerusalem mitnehmen, Kerith, aber ich frage mich.«
»Wenn sie dich haben können?« Sie lachte über seine Befürchtungen. »Jabaal, du bist der beste Baumeister im Land. Und sie wissen das.« Für einen Augenblick standen sie, noch in zögerndem Schweigen, an der Schwelle zu einem Gespräch, das beiden dazu verholfen hätte, einander zu verstehen. Aber der Baumeister,
Weitere Kostenlose Bücher