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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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einer Richtung abgeschrägt, so daß Wasser in die Spalten des Gesteins eindringen konnte; dann brach man alles Gestein, über dem das Wasser gestanden hatte, heraus, und schließlich wurde der Boden in der anderen Richtung abgeschrägt. Der Moabiter flocht auch die dicken Seile, mit denen die Steinblöcke nach oben gezogen wurden, und baute an den Wänden des Stollens zwei übereinanderliegende Treppen so, daß die Frauen auf den Stufen der einen hinab-und auf denen der anderen wieder heraufgehen konnten, ohne einander im Wege zu sein. Meschab war nun weit mehr als nur ein Vorarbeiter, er war in jeder Hinsicht Wiedehopfs rechte Hand. Der Baumeister schlug deshalb vor, daß er aus dem Sklavenlager in ein rückwärtiges kleines Zimmer des neuen Hauses ziehen solle, so daß er notfalls auch nachts zur Stelle sein konnte. Kerith war anfangs sehr dagegen - »Stelle dir doch vor: ein Mörder im Haus!« -, aber als sie dann an die elende Hütte dachte, in der Meschab leben mußte, stimmte sie zu. Nun widersprach jedoch der Statthalter. Aber Wiedehopf blieb hart, und schließlich konnte der Moabiter in Jabaals Haus
    einziehen. Eines Abends, als die beiden am Grunde des Schachtes standen, sagte Wiedehopf:    »Nächste    Woche
    beginnen wir mit dem Stollen. Du fängst hier an, ich beginne am Brunnen, und irgendwo da unten treffen wir uns. Und dann, in diesem Augenblick, Meschab, werde ich dich als freien Mann umarmen.« Der Sklave schwieg, denn ihn quälte ein Gedanke:    Wie sollte er in der Dunkelheit des
    unterirdischen Ganges die Richtung einhalten? Wie können zwei Männer, aus entgegengesetzter Richtung kommend, sich im Bauch der Erde treffen? Und dann war der Schacht vollendet. Wiedehopf und Meschab standen unten und sahen hinauf zu dem kleinen viereckigen Ausschnitt blauen Himmels, von dem so gar kein Hinweis auf die Richtung zu erhalten war, in der nun der Stollen zum Brunnen vorgetrieben werden sollte. Bekümmert sagte Meschab: »Von hier aus können wir die Fahnen nicht sehen. Der Brunnen kann überall liegen«, aber Wiedehopf erwiderte: »Wäre ich wohl hier unten mit dir, wenn ich nicht noch ein Geheimnis hätte?« Er ging mit Meschab hinaus aus der Stadt, in die Berge, dorthin, wo hohe Bäume standen, und fragte den Sklaven: »Wie hoch ist dieser da?« Meschab schätzte den hohen Baum auf mindestens zwanzig Armlängen. »Das genügt«, sagte Wiedehopf zuversichtlich und setzte sich, um auf Meschab zu warten, der zur Stadt zurückkehrte, einige Sklaven zu holen, die den Baum fällen sollten. Als aber der Moabiter gegangen war, wurde Wiedehopf an seiner Gewißheit irre. Er sank vor dem Baum auf die Knie, umfaßte den Stamm mit beiden Händen und betete: »Baal dieses Baumes, ich brauche Deine Hilfe, um meinen Weg im Dunkel zu finden.« Er betete fast eine Stunde lang - ein Baumeister, der sein Werkzeug um Hilfe anflehte.
    Nachdem der Baum gefällt und vom Astwerk befreit war, schleppten die Sklaven ihn durch die Stadt zum Schacht. Dort ließ Wiedehopf den Stamm quer über die Öffnung legen, genau auf die Mittellinie und damit in gleiche Flucht wie die Reihe der Fahnen. Deshalb mußte aber auch der Stollen, wenn er der Richtung des Baumstamms folgte, auf den Brunnen stoßen.
    »Du mußt dich nach dem Stamm richten«, sagte Wiedehopf zu Meschab. »Aber wie soll ich das tun, wenn ich schon nach dem ersten Tag den Stamm nicht mehr über mir sehe?«
    Jetzt erst zeigte sich Wiedehopfs ganze Begabung. Staunend hörte Meschab zu, als ihm der Baumeister das Geheimnis mitteilte, das er in den letzten zwei Jahren mit sich herumgetragen hatte. Wiedehopf ließ sich ein Knäuel starker weißer Schnur geben, band einen schweren Stein daran fest, ging zu dem nach Süden weisenden Ende des Baumstamms, befestigte dort das freie Ende der Schnur und ließ den Stein langsam in die Tiefe hinab, bis er den Boden des Schachts berührte. Dasselbe wiederholte er am nach Norden weisenden Ende des Stammes. Jetzt lagen auf dem Grund des Schachtes zwei Steine, die zwei Schnüre senkrecht spannten - und die Linie zwischen den Schnüren verlief genau wie der Baumstamm und daher auch genau wie die Reihe der sechs Fahnen. Nun zeigte sich außerdem, wie gut es gewesen war, daß Wiedehopf die Mittellinie mit größter Sorgfalt gelegt hatte, denn so gaben ihm die beiden senkrechten Schnüre, die so weit wie möglich voneinander entfernt waren, ein Höchstmaß an Genauigkeit. Wenn Meschab beim Graben des Stollens stets darauf bedacht war,

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