Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
Vom Netzwerk:
einen vorzüglichen Richtpunkt; als der Sklave aber über die dort zum Trocknen ausgebreiteten Samen hin- und herging, um die wichtige sechste Fahne aufzustellen, sozusagen den Endpunkt der Meßlinie, fühlte sich der Statthalter belästigt. Er trat aus dem Haus und schrie: »Wer ist denn da auf meinem Dach?«
    Die Leute liefen zusammen, als der hohe Beamte den Sklaven anbrüllte. Leicht hätte es zu Mißhelligkeiten kommen können, denn der Moabiter war keineswegs gewillt, die dringend benötigte Fahne herunterzunehmen. Gerade wollte der Statthalter ausfallend werden, da erschien der Feldherr Amram, erfrischt und ausgeruht. Er sah sofort, daß die Fahne wirklich am besten auf dem Dach der Statthalterei stand, begab sich aber doch noch zu Meschab auf das Dach, um die ganze Fahnenreihe in Augenschein zu nehmen. Dann rief er alle Beteiligten, auch Wiedehopf, unten zu einer Besprechung zusammen. »Der Statthalter hat recht«, gab er bekannt. »Die letzte Fahne sollte nicht gerade auf seinem Dach stehen.« Wiedehopf wollte widersprechen, aber der Feldherr kam ihm zuvor: »Da die Fahne aber wichtig ist, stellt sie doch auf die Mauer.«
    Die Volksmenge murmelte Beifall zu dieser weisen Entscheidung. Aber Wiedehopf hatte einen Einwand: »Der Schaft ist zu kurz, als daß man sie auf der Mauer sehen könnte.«
    »Daran habe ich auch schon gedacht«, erwiderte der Feldherr. »Du wirst deshalb morgen in den Wald gehen und dir einen jungen Baum suchen, der lang genug ist.«
    Am folgenden Tag verschwand also der gutgläubige kleine Baumeister im Wald, während der Feldherr in das Haus an der Westmauer ging und dort den Nachmittag mit Kerith verbrachte. Der Moabiter aber merkte, wie geschickt der schlaue Feldherr es anstellte, mit Wiedehopfs Frau allein zu sein. Er war wütend darüber. Und er wurde noch zorniger, als er zusehen mußte, wie Amram an den folgenden Nachmittagen immer neue Möglichkeiten fand, den dicken Baumeister auswärts zu beschäftigen. Doch Meschabs Verdacht war unbegründet. Der Feldherr saß zwar bequem in Wiedehopfs Stuhl, doch nur um feststellen zu müssen, daß es mit Kerith noch viel schwieriger war als am ersten Nachmittag: Sie behandelte den berühmten Gast, als sei er ihr Vater, brachte ihm kühle Getränke und Leckerbissen wie eine Sklavin, wies jedoch mit bezaubernder Unschuld alle seine Verführungskünste ab. Wäre er jünger gewesen, so hätte er vielleicht einmal fest zugepackt; aber er war nun doch schon fast fünfzig, und so erheiterte ihn die Treue dieser Frau mehr, als daß sie ihn ärgerte. Auch hinter ihre Absichten glaubte er gekommen zu sein:    Sie hoffte wirklich, mit ihrer
    Liebenswürdigkeit könne sie ihrem Mann den Weg nach Jerusalem ebnen.
    »Warum bist du nur so unzufrieden in dieser hübschen kleinen Stadt?« fragte er eines Nachmittags und haschte nach dem Saum ihres grauen Kleides, als sie an ihm vorüberging.
    Wie eine Tänzerin wirbelte sie herum, daß der Rock im Schwung hoch über seine Hand flog und dabei einen verführerischen Duft verströmte. Er lachte, horchte aber auf, als sie sagte: »Das Leben in einer Stadt wie Makor, wo man Jahwe und Baal zugleich anbetet, verdirbt mich.«
    »Ich finde Makor sehr hübsch. allerdings nicht ganz so hübsch, wie ich gehofft hatte«, erwiderte er.
    Sie ging auf seine Antwort überhaupt nicht ein, sondern fragte: »Wenn Ihr morgens in Jerusalem erwacht, erregt es Euch nicht zu denken, daß Ihr Euch im Mittelpunkt der Erde befindet? Wo Jahwe wohnt!«
    Der Feldherr hustete. Entweder - so dachte er - ist diese Kerith wirklich so naiv; oder sie macht sich über mich lustig; auf jeden Fall aber wird mir die Sache langweilig. Und so sah er keinen Grund, noch weiter herumzureden, und sagte deshalb ganz offen: »Um dir die Wahrheit zu gestehen, mein Gott ist Dagon.«
    »Dagon!« rief Kerith entsetzt.
    »Ja, ich habe unter König David schon gedient, als er noch für die Philister kämpfte. Und die haben mir eigentlich gefallen. Sie sind tapfere Krieger, und ihr Dagon ist ein mächtiger Gott. Gewiß, gewiß. Jahwe ist wohl auch sehr gut. ich weiß, der König verehrt ihn. Aber ich bin nun einmal Soldat, und meine Gedanken sind einfach.«
    Kerith trat zurück. Dieser Mann, dieser berühmte Feldherr sagte ohne Scheu, daß er einem Gott aus Stein wie Dagon diene? »Ich bin erstaunt, daß Jahwe nicht.«
    »Mich erschlägt?« Amram lachte. »Ach, ich gebe Jahwe selbstverständlich, was ihm gebührt. Als Krieger darf man nicht übersehen, was

Weitere Kostenlose Bücher