Die Quelle
vielleicht gar einen ganzen Zeitabschnitt rekonstruieren. Nachdem die Bilder aufgenommen waren, rief Tabari seine Arbeiter aus dem Graben, und den Zuschauern wurde erlaubt, der Reihe nach hineinzugehen, um mit eigenen Augen den ersten großen Fund von Makor zu sehen. Cullinane wartete, bis er an der Reihe war. Und dann stand er vor dem herrlichen alten Stein. Mittelalterliche Steinmetzen hatten ihn liebevoll gemeißelt. Warm stieg ein Gefühl der Freude in ihm auf. Die Burg existierte. Der erste Abschnitt der Ausgrabung war ein Erfolg. In den folgenden Jahren konnten diese Ruinen in aller Ruhe erforscht werden. Einstweilen füllte er die vorläufige Karte aus.
Als Tabari die Datierung sah, war er nicht ganz einverstanden: Der Stein könne doch endgültig auf das Jahr 1105 datiert werden. Denn die Chronik des Wezel von Trier erbringe ja den dokumentarischen Beweis, daß Graf Volkmar von Gretsch in diesem Jahr gestorben sei. Cullinane aber bemerkte trocken: »Wir wissen, wann er starb. Aber wir wissen nicht, wann der Stein gemeißelt und in die Mauer eingelassen worden ist. Ich vermute, es war um die Zeit, die ich angesetzt habe.«
Ganz anders ging es beim Graben A zu. Hier war die Stimmung gedrückt - eine Situation, die ein erfahrener Ausgrabungsleiter stets zu verhüten sucht. Denn im Graben A war bisher nichts, aber auch nicht die kleinste Kleinigkeit entdeckt worden. Kein Wunder, daß die dort arbeitende Gruppe unlustig wurde, während die Männer und Frauen vom Graben B sich jeden Morgen lebhaft begrüßten und sich fragten, was sie wohl heute freilegen würden: vielleicht Eßteller der Kreuzfahrer mit dem Fischsymbol als Muster, vielleicht Teile von Kettenpanzern, Stücke von Steinmetzarbeit aus einer Kapelle oder auch Dutzende von Steinen, die einem einen wirklichen Begriff davon geben könnten, wie eine Ritterburg ausgesehen hatte. Im Juni kamen drei Wochen lang Steine zu Tage, die stark verrußt und teilweise durch Hitzeeinwirkung gesprungen waren. Jetzt konnte man sich darüber Gedanken machen, wie wohl die Brandkatastrophe über diese Burg hereingebrochen sein und einen Teil zerstört haben mochte. Es war ein erregendes Erlebnis, am Graben B zu arbeiten. Hier hatte man ein vorzügliches Beispiel dafür, wie die Archäologie Geheimnisse der Vergangenheit aufdeckt. Gleichzeitig bewies Graben A, wie eine Ausgrabung schiefgehen konnte. Denn offensichtlich hatte man den Hauptzugang nicht getroffen.
Nach Wochen enttäuschenden Grabens versammelte Cullinane seine Mannschaft an der Stelle, die keinerlei Ergebnis gebracht hatte, und fragte: »Was nun?« Jetzt gab Eliav zu, daß das Tor wohl doch weiter nach Osten liegen müsse, dort, wo Cullinane es zuerst vermutet hatte. Er riet, die Grabung einzustellen und sechzig Meter weiter östlich neu zu beginnen. Aber Cullinane lehnte ab: »Am Graben B haben wir die Burg gefunden. Wenn der übrige Tell unergiebig ist, müssen wir auch das wissen.« Zur Enttäuschung der am Graben A arbeitenden Kibbuzniks ordnete er an, daß sie weitermachen sollten. Er versuchte sie sogar zu überzeugen: »Was ihr hier tut, ist genauso wichtig wie das, was die anderen drüben machen.« Aber er spürte selbst, auf wie schwachen Füßen sein Argument stand.
Die Gruppe am Graben A arbeitete sich weiter mühselig durch den unergiebigen Schutt, bis sie durch nichts als stures Abtragen endlich drei Mauern hintereinander freilegten. Teile von drei offenbar konzentrischen Mauerringen, erbaut zum Schutz von Makor. Wohl um 3500 v. Chr. hatte irgendein Volk die dicke äußere Mauer errichtet, indem man riesige
Felsblöcke kreuz und quer übereinander schichtete. Zweitausend Jahre später, lange vor der Zeit Sauls und Salomos, hatte ein anderes, ebenfalls unbekanntes Volk die kräftige mittlere Mauer gebaut. Und zweitausendfünfhundert Jahre danach, zur Zeit der Kreuzfahrer, war die innere Mauer aufgeführt worden, ein Musterbeispiel europäischen Bauens. Wo man in diese Mauer Breschen geschlagen und welche Rolle das Feuer bei der Zerstörung der Burg gespielt hatte, wagte Cullinane, als strenger Wissenschaftler, vorerst nicht zu sagen. Er stellte sich die Siedlung vor, die Häuser geduckt hinter den drei Mauern. Und diese drei Mauern standen natürlich nicht in drei deutlich voneinander getrennten Ringen. Eine nach der andern war zerstört worden, und jedesmal hatte sich die nächste auf der vorangegangenen erhoben. Und trotzdem besaß jede ihr ganz eigenes Gepräge. Er sagte zu den anderen:
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