Die Quelle
bis an das Ende der Welt. Der Schacht Wiedehopfs des Baumeisters wurde schließlich mit Schutt angefüllt, und sein Stollen geriet in Vergessenheit. Denn dem Dichter, der ein Menschenleben für nichts geachtet hatte, war die Gnade zuteil geworden, einen kurzen Blick auf das wahre Antlitz Jahwes werfen zu dürfen -und er hatte sich dem Einen Gott anheimgegeben. Der Baumeister hingegen hatte von Anfang an im Bann zweier Götter gestanden, im Banne des Baal, von dem er zu wissen glaubte, daß er in der Erde lebe, und im Banne Jahwes, den er als unsichtbare Gottheit anzunehmen bereitgewesen war. Kein Mensch jedoch vermag unschlüssig zwei Göttern zugleich zu dienen; versucht er es, so wird er unaufhaltsam zwischen ihnen zerrieben. Das war die Erkenntnis, die Wiedehopf am Nachmittag seines Todes gewonnen hatte. Wie gern hätte er die klare Einsicht König Davids, Gerschoms und seiner geliebten Frau Kerith besessen! Aber ihr Verständnis war ihm nicht beschieden gewesen, und so starb er, ein unnütz gewordener alter Mann, ein Gefangener seiner Götter.
Im Herbst 1964 jedoch, im Monat Bul - als die Regenwolken zum erstenmal über dem Karmel sich auftürmten und die Bauern Holz für das Winterfeuer sammelten - stieß ein später Nachfahre aus dem viele Jahrtausende alten Geschlecht des Mannes Ur auf den so lange vergessenen Stollen. Bald danach wurde der unterirdische Gang ausgegraben; Fotografien des bemerkenswerten Bauwerks gelangten in die ganze Welt. Die Techniker priesen es als ein frühes Meisterstück, »eine der ersten großen Leistungen der Landvermessung«, und in einem Zeitalter, das von Naturwissenschaft und Technik geprägt war, wurde viel über die zeitlose Botschaft geschrieben, die der unbekannte Baumeister von Makor der Nachwelt hinterlassen hatte. Ein französischer Philosoph meinte, daß »dieser stumme Genius des Brunnenstollens von Makor überzeugender zur Welt spricht als die Dichter der Psalmen, denn sein Werk spiegelt jenen Teil des göttlichen Geistes wider, der von jeher Taten ebenso hoch schätzte wie Worte. Sein Stollen ist in der Tat ein Psalm, ein Lied derjenigen, die Gottes Tun Wirklichkeit werden lassen.«
Und dann entdeckte der amerikanische Archäologe Cullinane den Psalm von Tell Makor. Jeder einzelne Teil des Stollens war bereits von Fachleuten untersucht worden, die sehr gescheit zu rekonstruieren wußten, wie der unbekannte Baumeister vorgegangen sein mußte; zwei kleine Stollen - so nahmen sie an - hatte er zunächst durch den Felsen vorgetrieben, diese dann etwa in der Mitte aufeinander treffen
lassen und schließlich erweitert. Nicht zu erraten vermochten sie, wie er unter der Erde die Höhe und die Richtung eingehalten hatte; erst Cullinane fand die Antwort auf diese Frage. An einem Tag im Herbst 1964 ging er mit einer billigen Taschenlampe durch den Gang, da entdeckte sein suchendes Auge einen Schatten am Stollendach. Er stutzte, ließ eine Leiter bringen und untersuchte die feuchte Decke sehr genau. Und dann rief er seine Mitarbeiter zusammen: Mit
Infrarotfotografie, mit Talkumpulver und Kamelhaarpinseln machten die Archäologen eine Inschrift sichtbar, die aus mehreren Gründen größtes Aufsehen in der gelehrten Welt und darüber hinaus erregte. Sie stellte nämlich eines der ersten Beispiele hebräischer Schrift dar, sie gab außerdem einen sicheren Anhaltspunkt für die Datierung, und sie ließ die Gestalt eines Menschen leibhaftig werden, der mit seinen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt hatte. Der schon erwähnte französische Philosoph nannte die Inschrift den »Psalm des Stollenbauers« - eine Bezeichnung, die den Geist eines ganzen Zeitalters erfaßte: »Jabaal von Makor baute diesen Stollen Davids. Mit sechs Fahnen fand er das Geheimnis. Mit weißen Schnüren prüfte er die Erde. Mit Eisen aus Akcho durchschnitt er den Felsen. Aber nichts ohne Meschab den Moabiter. Jabaal arbeitete vom Brunnen her und irrte. Meschab vom Schacht her richtig. Denn Meschab war sein Bruder. Nun ist er tot. Erschlagen von König David. Jahwe führte vom Himmel. Von der Erde Baal. Preis den Göttern, die uns erhalten.«
Babylonische Waffen. Links: Eiserne Speerspitze, geschmiedet in der Stadt Urartu (hebräisch Ararat), am Nordufer des Van-Sees in Kleinasien, 684. v. Chr. und im Tauschhandel gegen Webwaren nach Babylon gelangt. Ursprünglich befestigt am Ende eines 1,20 Meter langen Schaftes aus Zedernholz, importiert aus Tyros. Rechts: Helm assyrischen Stils, aus Bronze getrieben,
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