Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
Vom Netzwerk:
Sein Blut floß über den Tempelboden zu Wiedehopf. Ein Priester, in Grauen schwelgend, rief mit singender Stimme: »Jahwe ist gerächt. So schlägt Jahwe alle, die ihm widerstehen.«
    Da kam Abisag in den blutbefleckten Tempel, sah, was geschehen war und führte den König an der Hand hinaus, zum Haus des Statthalters. Dort erst, in der Stille seines Zimmers, kam David wieder zu sich. Auf seinem Ruhelager sann er über das nach, was er Meschab in seiner Rachsucht angetan hatte. Er schlug mit der Faust an seine Stirn - voll tiefer Reue über diese letzte Untat in einer langen Kette von Ausbrüchen der Leidenschaft, die sein Leben verdüstert hatten. In Schmerz und Scham ließ er den Sänger rufen, denn er brauchte Trost. Die Boten fanden im kleinen Schuppen beim Wolladen nicht nur Gerschom, sondern auch Kerith, kniend bei einem kleinen Bündel Kleider, das sie aus dem Haus ihres Mannes mitgenommen hatte. Als die Boten Gerschom sagten, er müsse sofort mit seiner Leier zum König gehen, sagte der Sänger: »Ich muß auch Kerith mitnehmen. Ich kann sie hier nicht zurücklassen.« An Gerschoms Seite schritt Kerith durch die Straßen, in ihrem goldfarbenen Gewand und mit dem Bernsteinschmuck.
    Sie fanden König David zusammengesunken in einer Ecke seines Zimmers. Abisag kauerte neben ihm und hielt seine linke Hand. Er war aschfarben, das Gesicht zerquält von Selbstvorwürfen - ein alter Mann, heimgesucht von Gespenstern. »Ich habe mein eigenes Gesetz gebrochen«, murmelte er. Noch schlimmer wäre er mit sich selbst ins Gericht gegangen, hätte nicht Gerschom zu singen begonnen, Lieder, die der König bereits kannte. In den Tönen klang es wie Wind und wie das Springen der Lämmer über Frühlingswiesen. Da vergaß der alte König seine Bitterkeit und schloß seine Augen, als schlafe er. Aber er war wach - man sah es, wie er Abisags Hand voller Furcht vor dem Alleinsein umfaßt hielt - und lauschte, sehnsüchtig nach Trost, den Liedern des jungen Sängers. Nach den Liedern, die der König bereits kannte, fiel Gerschom aus einem ihm selbst unerklärlichen Grund eines wieder ein, das er vor Jahren in den Bergen zum erstenmal gesungen hatte, als er darüber nachdachte, wie wohl ein vollkommener König sein müsse. Seine Worte zur siebensaitigen Leier klangen durch den Raum wie Rede und Gegenrede zwischen dem Volk Israel und seinem König:
    »Jubelt, ihr Bewährten, um IHN!
    Den Geraden ist Preisung geziemend.
    Sagt I hm Dank zur Leier,
    Auf zehnsaitiger Laute spielt ihm,
    Singt ihm einen neuen Gesang,
    Trefflich rührets zum Schmettern!
    Denn gerade ist S eine Rede,
    Alles was er macht ist in Treuen,
    Er liebt Wahrheit und Recht,
    S einer Huld ist das Erdreich voll.«
    Die letzten drei Zeilen leiteten nur über zu Gedanken über das Wesen des Königtums, aber sie trafen den schuldig gewordenen David mit solcher Macht, daß er, ohne die Augen zu öffnen, mit der Rechten dem Sänger Einhalt gebot. Er tastete sich, noch immer mit geschlossenen Augen, ein paar Schritte in das Zimmer, taumelte, brach in die Knie und schlug seinen Kopf mehrmals auf die Steine, bis Abisag hinzueilte und ihn mit sanfter Gewalt zwang, die Augen zu öffnen und zu seinem Sessel zurückzugehen.
    »Ich habe Jahwe betrogen«, weinte der alte Mann. »Mein Leben lang habe ich getan, was Jahwe verdammt hat. Von wessen Hand wurde der Moabiter erschlagen? Von meiner! An wessen Altar? An meinem!« Die Erinnerung an die Entweihung schüttelte ihn. Flehentlich bat er: »Erzählt mir von dem Moabiter.« Kerith, die zu Füßen des Sängers saß, erzählte: »Er war ein gerechter Mann. In der Finsternis baute er den Stollen, um Eure Stadt zu retten. Und Euren Namen sollte der Stollen tragen. Als mein Gatte fort war, beschützte mich der Moabiter. Als er von der Sklaverei befreit wurde, blieb er bei uns, um den Stollen des Königs zu vollenden. Meschab war ein Mann, an den ich bis ans Ende meines Lebens mit Tränen denken werde.«
    Gerade solche einfachen Worte hatte König David hören wollen, Worte des Gedenkens an einen tapferen Krieger und einen wackeren Mann. »Setz dich zu meiner Rechten«, sagte er zu Kerith, die damit zum erstenmal den Platz einnahm, den sie in den letzten Jahren des Königs noch oft innehaben sollte. »Der Moabiter war tapfer im Kampf, und ich erschlug ihn. Er war ein Mann, der mit Kraft für seine Götter eintrat, und ich ließ ihn töten. Was habe ich nur getan?« Der weißhaarige Mann wiegte sich zwischen den beiden Frauen, die über

Weitere Kostenlose Bücher