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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Baumeister auch nur zu empfangen. Die Sklaven waren nach Jerusalem gebracht worden; und weitere Aufträge von Bedeutung hatte Wiedehopf nicht mehr zu erwarten. Überall in der Stadt erzählte man sich, wie seine Frau mit Gerschom davongelaufen war - bis aus der Geschichte Bänkellieder entstanden, in denen sogar von einem Seitensprung mit dem Feldherrn Amram gefabelt wurde. So verwandelte der Volksmund eine der liebenswürdigsten und zugleich widersprüchlichsten Frauengestalten, die je in Makor gelebt hatte, in eine Schlampe.
    Wiedehopf schüttelte betrübt den Kopf, wenn er die Männer in den Schenken die Lieder grölen hörte. »Sie verstehen es nicht«, murmelte er vor sich hin. Im Haus am Schacht lebte er still mit seinen beiden Kindern, die dazu ausersehen waren, Urs Geschlecht fortzupflanzen. Aber die Kinder kümmerten sich nicht um den Schacht, in den die Frauen hinabstiegen, um vom nunmehr sicheren Quell frisches Wasser in die Stadt zu bringen. Zu Wiedehopfs Lebzeiten wurde - dank seiner Begabung als Baumeister - die Stärke der Verteidigung Makors niemals auf die Probe gestellt, so daß die Bewohner der Stadt nicht schätzen lernten, was er für sie geschaffen hatte. Ihnen waren die Mauern und der Brunnenstollen bald etwas Selbstverständliches. Und Wiedehopf galt ihnen nur noch als ein närrischer Kauz, der herumrannte, seinen Kopf in dieses oder jenes Loch steckte und nichts fand. »Kein Mann in Makor hat einen passenderen Namen als Wiedehopf«, sagten sie. Je älter er wurde, desto mitleiderregender wurde er: ein plumper kleiner Mann, ohne Frau und ohne Arbeit. Nur wenige blieben ihm Freund. Als Salomo König wurde und Jerusalem so glanzvoll aufbauen ließ, als Schiffe zwischen Akcho und Tyros hin- und herfuhren, mit Zedern vom Libanon und tausend anderen Kostbarkeiten für den großen Tempel, den der König errichten ließ, schöpfte Wiedehopf neue Hoffnung, man werde ihn bald in die Hauptstadt berufen, dem König zu helfen. Aber in der Stadt Davids und Salomos war nicht einmal sein Name mehr bekannt.
    Ein alter Mann war Wiedehopf geworden, als er für einige Zeit verschwand. Seine Kinder, groß geworden und ohne Liebe für den Vater, dachten oder hofften gar, er sei gestorben. Aber Jabaal lebte noch. Tief unten im Stollen war er, in diesem Meisterwerk, das er allein entworfen hatte. Mit Hammer, Meißel und einer kleinen Leiter war er hinabgestiegen. Und nun arbeitete er schon mehrere Tage an der Decke des Stollens. Die Mädchen und Frauen, die unter seiner Leiter vorbeigingen, brachten ihm ein wenig zu essen mit und wunderten sich, was er da wohl tat.
    »Fällt die Decke ein?« fragten sie.
    »Haben die Ratten ein Loch gegraben?« neckten sie ihn. Sie wußten schon nicht mehr, daß er es gewesen war, der den Davidsstollen gebaut hatte. Wiedehopf gab keine Antwort, sondern hämmerte weiter. Eine alte Wolldecke hatte er unter der Stelle, an der er arbeitete, aufgehängt, damit keine Splitter auf die Köpfe der Frauen fielen, die durch seinen Gang liefen. Endlich war er fertig. Zum letztenmal - doch das konnte er noch nicht wissen - besah er sein Werk. An der Quelle schützten die quer übereinandergelegten Felsstücke die Decke vor jedem Eindringling - dreitausend Jahre sollten sie dort liegenbleiben. Die Höhle aus unendlich lange vergangener Zeit war vermauert und vergessen. Die Quelle selbst lag kühl und rein und sicher in der Tiefe; sie spendete so viel Wasser, wie die Menschen von Makor brauchten. Und der so sauber aus dem Fels gearbeitete Gang stieg im vorherbestimmten Maß zum Grund des Schachtes an, von dem die beiden bequemen Treppen hinauf zum Tageslicht führten.
    Als Wiedehopf zum letztenmal aus dem Schacht geklettert war, ging er durch das Nordtor zum Friedhof, an dessen Rand er vor Jahren seinen Freund Meschab den Moabiter begraben hatte, den damals niemand auch nur anrühren wollte. Er setzte sich auf das Grab und gedachte der schönen Tage ihrer Freundschaft und ihrer gemeinsamen Arbeit - und das ist vielleicht das einzige, was ein Baumeister nie vergißt. Es war ein strahlender Frühlingstag. Und nun wollte er auf den Berg gehen, zu Baals Stätte, denn er wäre gern dem alten Gott noch einmal nahe gewesen. Aber als er sich von dem Grab erhob, befiel ihn plötzlich Schwindel. Jabaal fühlte, daß der Tod kam. Gefaßt setzte er sich wieder.
    »Jahwe, Allmächtiger«, betete er, »nimm mich auf am Ende meiner Tage.« Mit diesen Worten starb er.
    Die Lieder Gerschoms des Sängers erklangen

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