Die Quelle
zwei, und kaufen konnte man dort wenig genug. Die Bürger schlugen sich mehr schlecht als recht durchs Leben, und von dem Luxus der Tage Davids und Salomos war nichts geblieben.
An den entgegengesetzten Enden der Hauptstraße standen zwei Häuser, die beispielhaft waren für dieses neue Makor. Am Haupttor, in einem niedrigen, bescheidenen Bau, der ziemlich viel Grundfläche einnahm, aber nur ein Stockwerk hatte (denn in Makor konnte sich niemand mehr Bauholz leisten), wohnte Jeremoth, aus dem Geschlecht Urs, ein Mann, gewillt, als Statthalter jedem zu dienen, der gerade das Land ringsum seinem Reich zugeschlagen hatte. Er war zweiundfünfzig Jahre alt, ein ebenso tatkräftiger wie schlauer Mann ganz nach der Art seiner Vorfahren, die mit viel Geschick und List die Stadt während des Bürgerkrieges, der das Reich Salomos zugrunde richtete, ebenso unversehrt erhalten hatten wie in den darauffolgenden zweihundert Jahren unablässiger Bedrohung durch Phönizier, Aramäer, Assyrer und Ägypter. In all diesen Wirren hatten die Männer aus dem Geschlecht Urs sich jedem neuen Eroberer anzupassen gewußt, hatten trotz Belagerung, Pest und Schrecken doch immer wieder ihre Olivenbäume südlich der Stadt behalten und zugleich eine Art von Amtssitz nahe dem Haupttor. Jeremoth, schwarzbärtig, drahtig und beherzter als die meisten Männer der Stadt, war von einer einzigen Vorstellung beherrscht: Die Besetzung mußte fortdauern. Wenn die Ausweitung der Macht Babylons einen Krieg mit Ägypten unvermeidlich machte, nun, dann mußte eben Krieg sein, und Makor lag dann abermals im Kampfgebiet; aber was er an List und Überredungskunst aufbringen konnte, um die kleine Stadt vor dem Ärgsten zu bewahren, wollte er tun - und er war bereit, sich dabei mit jedem abzufinden. Er hatte fünf Töchter; vier von ihnen waren mit einigermaßen wohlhabenden Kaufleuten und Bauern verheiratet. Außerdem hatte er einige Brüder, genau so zähe Burschen wie er selbst. Gleich vielen anderen Familien in Makor waren Jeremoth und die Seinen von Jahwe abgefallen und zu Kanaanitern geworden, die auf dem Berg nördlich der Stadt Baal anbeteten. Jeremoths Sippe hielt fest zusammen, in der Hoffnung, es werde sich doch immer wieder ein Ausweg finden, ihren Besitz erhalten zu können.
Am andern Ende der Hauptstraße, in einer Ecke nahe den Trümmern des Nordtores, stand versteckt eine kleine Hütte aus ungebrannten Lehmziegeln, mit nur einem Raum ohne Möbel und einem Fußboden aus gestampftem Lehm. Ein einziges Fenster ließ Licht in den Raum fallen. Hier wohnte in Enge und Armut Gomer, die Witwe, eine hochgewachsene, hagere Frau von achtundfünfzig Jahren. Ein schweres Leben lag hinter ihr. Sie war ein häßliches Mädchen gewesen und hatte erst spät geheiratet; die dritte Frau eines nichtswürdigen Mannes war sie geworden, der sie wie eine Sklavin behandelte und sie zudem in aller Öffentlichkeit verspottete, weil sie kinderlos blieb. Nach vielen Jahren und nach einem Geschehnis, das sie bemüht war, aus ihrem Gedächtnis zu löschen - ägyptische Krieger hatten plündernd und schändend in Makor gehaust -, war sie schwanger geworden, und der elende Alte hatte geargwöhnt, das Kind sei nicht von ihm. In der Öffentlichkeit allerdings scheute er sich, sie zu beschuldigen, um sich nicht selbst zum Narren zu machen, aber daheim hatte er sie immer und immer wieder beschimpft. Doch als er schließlich gestorben war, hatte sie ihn in Ehren begraben, nicht seine früheren Frauen.
Gomer hatte nur dieses eine Kind, einen Sohn, den sie Rimmon genannt hatte, nach dem Granatapfel, in der Hoffnung, daß er, wie die Samen dieser Frucht, einst viele Kinder haben und in ihnen ihr Geschlecht weiterleben werde. Rimmon war inzwischen zu einem gut aussehenden jungen Mann von zweiundzwanzig Jahren herangewachsen, dem die Mädchen der Stadt schöne Augen machten. Er arbeitete beim Statthalter Jeremoth als Aufseher in dessen Olivenhain. Rimmon war, wie seine Mutter, unerschütterlich im Glauben an Jahwe, den Gott der Hebräer; da er aber im Dienst eines Kanaaniters stand, hielt er es für klug, auch Baal anzubeten -eine Tatsache, über die er mit seiner Mutter nicht sprach. Gomer war eine linkische, unschöne Frau. Ihr Haar war schmutzig grau wie ihre Haut, ihre Augen blickten trüb. Ein Leben voll harter Arbeit hatte ihren Rücken gekrümmt, wodurch sie älter erschien, als sie war. Das einzige, was für sie einnahm, war ihre sanfte, leise Stimme, gedämpft durch ein halbes
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