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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Frauen, ob sie etwas zu nähen oder zu flicken hätten. Sie fragte vergeblich. Doch die Frau des Statthalters hatte Mitleid mit ihr und sagte: »Meine Tochter Mikal möchte gern ein weißes Kleid haben für den Fall, daß sie ihren Vater nach Jerusalem zu den Festen begleitet.« Sie rief Mikal, ein zierliches, dunkelhaariges Mädchen von achtzehn Jahren, über das man in Makor mancherlei redete, weil es noch nicht geheiratet hatte. Mikal war ein lebhaftes Mädchen, bei Männern und Frauen gleichermaßen beliebt, denn sie war stets lustig, lachte gern und hatte, wenn sie mit jemandem sprach, die liebenswürdige Gewohnheit, lächelnd den Kopf schräg zu halten wie ein Vögelchen.
    Mikal freute sich, daß Gomer das neue Kleid nähen sollte, denn sie hatte die Witwe als zuverlässig und freundlich kennengelernt: Nie war Gomer zu spät gekommen, nie mürrisch gewesen, und stets hatte sie pünktlich geliefert, was ihr an Kleidern oder Wäsche in Auftrag gegeben war. Dazu hatte sie die Würde einer Bäuerin; während der Arbeit sprach sie mit ruhiger Stimme von Dingen, die zu hören sich lohnte. An diesem schicksalsträchtigen Nachmittag erneuerten Mikal und Gomer ihre Freundschaft Aber am nächsten Morgen, als die Witwe mit gefülltem Krug durch den Davidsstollen zurückkam, fühlte sie sich plötzlich angehalten, als ob eine mächtige Hand ihr den Durchgang verwehre, und eine Stimme sagte zu ihr: »Zur Errettung der Welt ist es unumgänglich, daß Rimmon Jerusalem sieht.«
    Gomer versuchte die Schranke zu durchschreiten, konnte es aber nicht; ihre Füße waren wie festgebannt an den Boden des Stollens. »Bist Du Jahwe?« fragte sie. »Ich bin der Ich bin«, antwortete die Stimme, und ihr Echo hallte von allen Seiten. »Und Ich befehle dir: Führe deinen Sohn nach Jerusalem!«
    Plötzlich war die unsichtbare Schranke fort, und nach ein paar zaghaften Schritten konnte Gomer das durch den Schacht dringende Tageslicht sehen. Während sie heim eilte, versuchte sie sich zu zwingen, das Erlebnis im Stollen aus ihren Gedanken zu verbannen. Zu Hause arbeitete sie mit solchem Eifer an Mikals weißem Kleid, als gebe es nichts anderes auf der Welt, und so gelang es ihr tatsächlich, Jahwe und Rimmon und Jerusalem zu vergessen. Am Abend jedoch, als vom Tor her das von der Weide in die Ställe zurückkehrende Vieh zu hören war und sie nicht mehr genug sah, die Nadel einzufädeln, fragte sie ihren Sohn abermals, ob er sich nicht wünsche, Jerusalem zu besuchen. »Nein, das ist etwas für Priester.«
    »Hast du nicht den Wunsch, die Stadt Davids zu sehen?«
    »Du hast sie ja auch nie gesehen. Warum sollte ich?«
    »Ich habe es mir immer gewünscht«, sagte sie in der Dunkelheit. »Warum bist du nicht gegangen?«
    »Kann eine Witwe nach Jerusalem gehen? Zum Laubhüttenfest? Wer soll ihr denn eine Hütte bauen?«
    Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, in dem jetzt all ihre Sehnsucht leuchtete. Wie viele Hebräer ihrer Zeit hatte es sie immer nach Jerusalem verlangt, wie die Bienen nach dem Frühling verlangen, damit er die Blüten öffne, oder wie gefangene Löwen im Tal sich nach den Bergen sehnen. Jerusalem - das war die goldene Stadt, der Ort des Tempels, der Brennpunkt der Anbetung, das Ziel allen Sehnens. Keine andere Stadt der Erde hat, bevor Rom zum Mittelpunkt der Welt wurde, eine solche Wirkung auf die Menschen ausgeübt wie Jerusalem auf die Hebräer, und dies trotz der bitter schweren Zeit des Leidens für das Land. Nach Salomos Tod war sein großes Reich von einem Bürgerkrieg heimgesucht worden und hatte sich in zwei Staaten gespalten, in das Nordreich Israel mit der Hauptstadt Samaria und das Südreich
    Juda mit der Hauptstadt Jerusalem. Assyrien hatte das nördliche Königreich vernichtet, wie in der Bibel zu lesen (2. Könige, 18, 9 - 12): »Im vierten Jahr Hiskias, des Königs in Juda (das war das siebente Jahr Hoseas, des Sohnes Elas, des Königs über Israel), da zog Salmanasser, der König von Assyrien, herauf wider Samaria und belagerte es und gewann es nach drei Jahren; im sechsten Hiskias, das ist im neunten Jahr Hoseas, des Königs Israels, da ward Samaria gewonnen. Und der König von Assyrien führte Israel weg gen Assyrien und setzte sie nach Halah und an den Habor, an das Wasser Gosan und in die Städte der Meder, darum, daß sie nicht gehorcht hatten der Stimme des HErrn, ihres Gottes.« Und dann war Sanherib gekommen. Trotz alledem lebten noch immer Reste des Hebräervolkes in Städten wie Makor, als Unterworfene

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