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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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ehrenhaft. Möge Baal uns beschützen.«
    Jeden Tag stieg er auf die Mauern, gerüstet nun im Lederpanzer und am linken Arm einen Schild, das Schwert an der Seite. Immer wieder versicherte er seinen Männern, daß die Stadt gewappnet sei; immer wieder erinnerte er sie an den gesicherten Brunnen: »In dreihundertfünfzig Jahren hat kein Feind diese Mauern bezwungen. Auch Nebukadnezar kann es nicht. Und wenn er dies erkennt, werden wir mit ihm Frieden machen auf viele Jahre.« Seine ganze Sippe - die Oheime und Brüder, die fünf Töchter und deren Gatten - rief er zusammen. Jedem teilte er eine Aufgabe zu, die ihn zwang, sich beispielhaft vor dem einfachen Volk hervorzutun. Zu Mikal sagte er: »Vergiß, was die alte Frau in ihrem Wahn geschrien hat. Rimmon ist ein guter Mann, und wenn dies alles hier vorüber ist, werdet ihr viele Kinder haben.«
    »Ich werde schon bald wieder eines haben«, gestand sie. »Weiß Rimmon davon?«
    »Ja.«
    Dann begab sich Jeremoth auf seinen Befehlsstand, dorthin, wo aller Voraussicht nach der Feind in den ersten Tagen der Belagerung am häufigsten angreifen würde. Er blickte hinab auf die Straße von Damaskus her, jene Straße des Schicksals, über die schon so viele Heere herangezogen waren, und er sah nach Süden auf die Ölbäume, die seit Jahrtausenden seiner Familie gehörten. »Wie schön ist diese Stadt«, murmelte er vor sich hin. »Und wahrlich wert, daß wir sie verteidigen.« Dann aber schaute er sorgenvoll hinauf zur Höhe des Berges, von dem Baals Säule hinabgestürzt war. Hätte doch, so dachte er, dieses verrückte alte Weib das nicht getan! Aber über die Geräusche der Stadt hinweg hörte er den Schrei aus der Tiefe des Schachtes: »Israel! Noch wenige Tage, noch wenige Stunden, Israel! Dann beginnt die lange Zeit der Qualen. Jahwes Wille ist es, daß ihr, das Joch auf dem Nacken, hinweggeführt werdet. Ergebt euch Babylon jetzt! Ergebt euch eurem Schicksal und front als Sklaven durch die Jahre der Pein und der Knechtschaft.«
    »Knebelt sie!« befahl Jeremoth, aber er vergrub den Kopf in seinen Händen aus Kummer, daß er einer hilflosen Frau solches antun mußte. Noch ehe die Männer zum Schacht gehen konnten, nahm jedoch Rimmon ihnen das Tuch ab und sagte: »Ich selbst werde meine Mutter zum Schweigen bringen.« Als er im Dämmerlicht vor ihr stand, sah sie ihn an mit den Augen der Mutter, mit dem Blick einer alten armen Frau, die eine Weile von Sinnen gewesen war, und mit ruhiger Stimme sagte sie: »In wenigen Stunden wird die Heimsuchung beginnen. Aber die Schlacht ist nicht das Wichtigste. Jahwe fordert nur eines: daß du Jerusalems gedenkest. Dort drinnen war es« - sie deutete auf die Stelle im Gang, an der sich ihr die göttliche Erscheinung gezeigt hatte -, »wo Er mir befahl, ich solle dich nach Jerusalem führen. Er wollte, daß du sehen und dich erinnern sollst.«
    »Aber warum?«
    »Auf daß, wenn du in der Sklaverei bist und andere vergessen, einer dasein wird, der Jerusalems gedenkt. Du bist der Erwählte der Erwählten.«
    »Und Mikal?«
    »Sie kann nicht mit dir gehen.«
    »Aber sie erwartet wieder ein Kind.«
    Gomer beugte das Haupt, Jahwes Dienerin und Mutter zugleich. Heiße Tränen rannen ihr über das runzlige Gesicht, und sie vermochte kein Wort zu sprechen. Sie dachte an die Zeit, da Mikal die Ihren vor dem Verhungern bewahrt hatte, und sie dachte an das Kind Ischbaal. Wie gern wäre sie gestorben, hätte sie das nicht zu sagen brauchen, was nun Er von ihr verlangte. Aber sie mußte es sagen: »Wenn du in die Gefangenschaft nach Babylon hinweggeführt wirst, dann sollst du - so ist es der Wille Jahwes - Geula als Frau mit dir nehmen.« Rimmons Rücken beugte sich, als seien ihm die riesigen Steine der Ölpresse aufgebürdet worden. Ohne seine Mutter in die Augen zu sehen, machte er sich daran, sie zu knebeln. Sie aber sagte nur: »Ich bin nun zum Schweigen gebracht.«
    »Wirst du uns kämpfen lassen?«
    »Ich bin nun zum Schweigen gebracht«, wiederholte sie. Er stopfte das Tuch in die Tasche und stieg aufwärts. »Meine Mutter ist geknebelt«, meldete er. »Jetzt können wir kämpfen.«
    Und dann erschien Nebukadnezar vor Makor. So riesig war sein Herr, daß er meinte, er könne diese kleine Stadt einfach im Sturm überrennen. Deshalb jagte er von allen Seiten her, außer von den Steilufern des Wadi im Norden, Tausende von Kriegern mit Pfeilen, Speeren und Steinschleudern gegen die Mauern, als falle ein riesiger Schwarm Heuschrecken über

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