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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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ein Junge in jenem qualvollen Alter, da das Berühren einer Vogelfeder die Hand so schmerzen kann wie der Schnitt eines scharfen Messers. Drei Tage lang mußte er dem Streit zwischen seinem Vater und dem Rabbi zuhören - jetzt erst erfuhr er zum erstenmal in aller Klarheit die Umstände seiner Geburt, jetzt erst wußte er wirklich, was es hieß, ein Hurenkind zu sein, und auf welch schreckliche Weise nicht der Urheber der Sünde vom Glauben ausgeschlossen blieb, sondern der, der in Sünde empfangen worden war.
    Andere Knaben seines Alters, gegen die er sich so oft auf der Straße hatte zur Wehr setzen müssen, zogen ihre neuen Kleider an und traten vor die Gemeinde. Verlegen standen sie da und hörten, was Rabbi Ascher ihnen über den Willen des Allmächtigen an Lehren verkündete. Abraham, der Sohn des Färbers Hababli, ein wahrer Tölpel, der niemals auch nur die geringste Einsicht in das Wesen des Judentums erlangen und dem die Gegenwart des Allmächtigen niemals Wirklichkeit sein würde, stotterte einen Abschnitt der Thora daher und verkündete, daß er nunmehr ein Mann sei. Der Dummkopf wurde in die Gemeinschaft aufgenommen, Menachem dagegen nicht, weder jetzt noch in alle Zukunft. In seiner Verzweiflung floh Menachem aus Makor; zwei Tage lang blieb er unauffindbar. Rabbi Ascher wußte zu ermessen, wie schwer diesen Jungen sein Los getroffen hatte, und schon fürchtete er, Menachem habe seinem Leben selbst ein Ende gesetzt, wie es schon manche getan hatten, die als Hurenkinder ausgestoßen blieben. Jael jedoch, die Menachems Gewohnheiten kannte, ging in den Olivenhain und fand ihn schlafend im hohlen Stamm eines uralten Baums, unter dem sie öfter gespielt hatten. Sie nahm ihn bei der Hand und brachte ihn zu ihrem Vater. »Du bist mannhafter als die anderen, Menachem«, sagte der Rabbi zum Ausgestoßenen. »Dich trifft die ganze Schwere des Gesetzes. Die Art, wie du diese Last trägst, entscheidet über deine Würde auf Erden und über deine Glückseligkeit im Jenseits. Meine Frau hat mir erzählt, wie gut du in der Mühle arbeitest. Die Stelle sollst du behalten, solange du lebst. Möge der Heilige, gelobt sei Er!, deinem stürmischen Herzen Ruhe schenken.«
    »Und die Synagoge?« fragte der Knabe.
    »Sie bleibt dir verschlossen«, antwortete der Rabbi. Aber daß er über ein dreizehnjähriges Kind ein so schrecklich hartes Urteil sprechen mußte, traf den Rabbi so tief, daß er Menachem weinend in seine Arme schloß und ihm tröstende Worte sagte: »Du wirst ein Kind Gottes sein. als ein Mann Gottes sollst du leben. Die Weisen sagen: >Das Geschick des Hurenkindes ist grausam.<« Er wollte noch mehr sagen, aber die Stimme brach ihm vor Leid, und so gingen die beiden in Trauer auseinander.
    Sein dreizehntes Lebensjahr hatte Menachem in tiefe Verwirrung gestürzt, ihm zugleich aber auch zu einer Einsicht verholfen, wie sie mancher erwachsene Mann nie zu erlangen vermag. Fleißig und umsichtig arbeitete er in der Mühle, überlegte auch, was er zum weiteren Gedeihen des Betriebes tun konnte, und wurde so wirklich zum Vorarbeiter. Daß er, ein Ausgestoßener, für den Rabbi arbeitete, der den Bann über ihn hatte sprechen müssen, war nicht außergewöhnlich: So ließ Abrahams Vater nichtjüdische Sklaven an den Färberküpen arbeiten, und andere Juden der Stadt beschäftigten Heiden, die noch Baal und Jupiter an den hohen Plätzen auf dem Berg hinter der Stadt verehrten. Menachem war glücklich mit seiner Arbeit und Rabbi Ascher froh, endlich einen Stellvertreter gefunden zu haben, der für gute Arbeit sorgte.
    Zur gleichen Zeit war Menachems Vater mit dem Bau der Synagoge soweit fertig, daß nun als Abschluß der Mosaikboden gelegt werden konnte. Denn trotz aller Erbitterung über die Art, wie man seinen Sohn behandelt hatte, wollte Jochanan doch sein Werk vollenden, wie er es sich gewünscht hatte. Und so kam es, daß Menachem, wenn er nicht in der Mühle des Rabbis beschäftigt war, seinem Vater in der Synagoge des Rabbis half: Ein junger Mann, gezwungen, ganz außerhalb der Gemeinde zu leben, fand Arbeit und Entspannung innerhalb des Judentums. Die Arbeit an den Mosaiken war erst wenig vorangeschritten, als Jochanan meinte, unbedingt mit Rabbi Ascher sprechen zu müssen. Der bärtige Gottesmann befand sich jedoch wieder im Kreise der Gelehrten unter dem Weinstock in Twerija, und so brachen der Steinmetz und sein Sohn zu Menachems erster Reise an den See Genezareth auf. Als sie nach Zefat kamen, stiegen sie auf

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