Die Quelle
so manchen Schismas, Übereinstimmung über das Gesetz erreicht war, verfügte die Kirche über einen Schatz an Erfahrung, Klugheit und Weisheit, von dem niemand, sicherlich auch der Rabbi Jesus und der Apostel Paulus nicht, vorauszusehen vermocht hatte, welches Wunder er war. In einem allerdings, einem Entscheidenden, sollten sich das Gesetz der Christen und das der Juden unterscheiden: darin, daß die Juden niemals die weltliche Macht hatten, ihrem Gesetz Geltung zu verschaffen. Ihnen blieb als einzige Macht die Anerkennung des Gesetzes durch die Gemeinde, und als schwerste Strafe allenfalls der Bann - die Ausstoßung aus der Gemeinschaft des Gesetzes und der Gläubigen, wie sie ein Baruch Spinoza erleben mußte. Die Christen hingegen, die sich aller Macht bedienen konnten, waren in der Lage, ihrem Gesetz durch Erhängen, Verbrennen und das Ausrotten der Bevölkerung ganzer Provinzen Geltung zu verschaffen. Das Grundproblem aber blieb das gleiche. Und Markos, dem Sohn eines ungebildeten Steinmetz, war es beschieden, Wesentliches beizutragen zur Klärung und Festigung des christlichen Gesetzes, womit er sich schließlich einen unsterblichen Namen gewann.) Zu der gleichen Zeit aber, da Markos zum erstenmal solchen Fragen begegnete, war ein Teil seiner jüdischen Altersgenossen in Kefar Nachum, Twerija und Makor zu der Überzeugung gekommen, daß es nun an der Zeit sei, das Joch der Byzantiner abzuwerfen. Mitternacht war vorbei, als Abraham, Jaels Mann, zu Markos kam, ihn weckte und zu einem geheimen Treffen mitnahm. Sprecherin hier war Jael.
Als sie Markos eintreten sah, unterbrach sie sich und fragte ihn über die Köpfe der Versammelten hinweg: »Menachem, willst du am Vorabend des Sieges zu uns kommen? Heute nacht noch schlagen wir hier in Makor, in Kefar Nachum und Twerija los!«
Daß sie ihn bei seinem wirklichen Namen nannte, traf ihn sonderbar. Einen Augenblick lang verspürte er ein Schwindelgefühl - ihm war, als werde ihm jetzt die letzte Möglichkeit angeboten, sein wahres Wesen zu erhalten. Doch dann sagte er: »Ich bin Christ.«
Jael kam auf ihn zu, ihre Zöpfe schwangen im flackernden Licht. Sie war schöner, als er sie in seiner Erinnerung gehabt hatte, schöner als jenes Mädchen, das ihn einst geküßt und sich zum Mann gewünscht hatte. Mit einer Gebärde vorbehaltlosen Vertrauens streckte sie ihm die Hände entgegen und sagte: »Wir sind keine Juden, denen es um die Synagoge geht. Wir sind Männer und Frauen, die Freiheit wollen.« Und sie zeigte auf mehrere Mitverschworene, die noch Heiden waren und Serapis anbeteten.
Doch Markos, Sohn des Johannes, hatte einen anderen Weg gewählt. Es war ihm unmöglich, sich Jael und ihrem Mann anzuschließen. Da er es ablehnte, am Aufstand teilzunehmen, befahl sie zwei Juden - als Knabe hatte er sich mit ihnen geprügelt -, ihn bei den Armen festzuhalten. »Wir können dich nicht laufenlassen, damit du die Byzantiner warnst«, sagte sie. So blieb er als Gefangener zurück, während Gruppe um Gruppe ausschwärmte und an zahlreiche Häuser der Stadt Feuer legte. Er stand noch immer zwischen den beiden, die ihn bewachten, als Boten begeistert mit Meldungen über erste Erfolge zurückkamen. »Ein Zusammenstoß bei der Kirche. vier Soldaten getötet!«
»Abraham war gefangen. aber wir haben ihn befreit.«
Gegen Morgen erschien Abraham mit einer klaffenden Wunde an der Stirn. Später kam auch Jael. »Wir vertreiben sie aus der Stadt«, rief sie und sagte dann, mit einem Blick auf Markos, zu seinen Wächtern: »Jetzt könnt ihr ihn laufenlassen. Er kann uns nicht mehr schaden.«
Durch Rauchschwaden und an Brandstätten vorbei ging Markos im Morgengrauen zum Zimmer des Priesters. Es war leer, aber niemand hatte etwas angetastet. Eusebios war in den Olivenhain geflüchtet, wo die Byzantiner sich in aller Eile verschanzt hatten. Hier meldete sich Markos. Der Spanier atmete erleichtert auf, als er ihn sah, und umarmte ihn tiefgerührt wie einen Sohn. »Als du uns nicht zu Hilfe kamst«, sagte Eusebios, »habe ich befürchtet, daß du zu den Juden übergelaufen bist.«
»Nicht alle sind Juden«, antwortete Markos, »und sie kämpfen nicht gegen Euch. Nur gegen die Steuereinzieher. Ich war in Eurem Zimmer. Und in der Kirche. Sie haben nichts angerührt.«
Dieser ehrliche Bericht gemahnte den Spanier an verpaßte Gelegenheiten. Er legte die Fingerspitzen auf die Augenbrauen, gleichsam als bete er. Dann blickte er auf und sagte: »Nun ist es zu spät. Auf der Straße
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