Die Quelle
vollendet worden war der Bau durch einen lästerlich lebenden Mann, der sich dann vom Judentum abgewendet hatte. Das Bauwerk war zu anmaßend, mit seinen geschnitzten Bildern zu schön gewesen für eine Synagoge; und darum hatte der Allmächtige sie ausgetilgt; denn das wahre Wesen jüdischen Glaubens konnte nie Ausdruck finden in einem auffallenden, prunkenden Gebäude. Wahres Wesen und Ausdruck des Judentums war das Gesetz. Wenn zehn Juden sich in einer Lehmhütte versammelten unter dem Gesetz, dann war auch der Heilige, gelobt sei Er!, bei ihnen. Und noch etwas erschaute Rabbi Ascher: Falls auch Twerija zerstört wurde, mußten sich die Gesetzeslehrer in Babylonien versammeln, um dort den Talmud zu vollenden. Seine Pflicht bestand nicht darin, über eine verlorene Synagoge zu wehklagen, sondern darin, weiterzuarbeiten am Zusammentragen all dessen, was zum Gesetz gehörte. In seiner höchsten Not besann er sich auf das, was er selbst vom Allmächtigen und von Rab Naaman erzählt hatte: »Ein Stückchen des Gesetzes, das mit Hingabe behandelt wird, ist wichtiger als hundert Städte.«
Darum kehrte er dem Presbyter Eusebios den Rücken und verkündete zur Verwunderung der Juden: »Noch heute ziehen wir nach Babylonien.« Einige weigerten sich, ihm Gefolgschaft zu leisten; sie gingen über Ptolemais, wo sie sich nach Afrika oder Spanien einschifften, in die Zerstreuung. Andere versuchten, in Makor zu bleiben, doch es wurde ihnen versagt; eine neue Synagoge erstand nicht, und da sie das Christentum nicht annehmen wollten, zogen sie längs der Küste nach Ägypten. Wenige traten zur neuen Religion über. Die meisten aber packten in Bündel, was ihnen ihre christlichen Nachbarn an Kleidung und Nahrung gaben, und versammelten sich am Nachmittag des traurigen Tages am Hang dort, wo einst das Haupttor gestanden hatte. Ein paar hatten noch bei den Trümmern der Synagoge geweint, ein paar Abschied genommen von Christen, mit denen sie befreundet gewesen waren. Die meisten aber wandten ihr Gesicht entschlossen ostwärts - nach Babylonien, wo die Juden noch ungehindert die Weisungen der Thora befolgen konnten.
Unter denen, die zur langen Wanderung aufbrachen, befand sich auch Jael. Als Markos sah, daß sie für immer fortgehen wollte, rief er vor aller Augen: »Jael, geh nicht. Bleibe bei mir.«
Verachtungsvoll schaute sie auf den Abtrünnigen und wich vor ihm wie vor einem Aussätzigen zurück. Er wiederholte seine Bitte, näherte sich ihr. Die jüdischen Frauen traten beiseite, als fürchteten sie seine Berührung. »Jael, an deinem Hochzeitstag bist du zu mir gekommen«, sagte Markos und wies wie ein Kind hinüber auf die Trümmer der Mühle, um sie an die Stätte ihres letzten Besuchs bei ihm zu erinnern.
Angewidert wandte Jael sich ab. Ihre verwitweten Schwestern nahmen sie wie zum Schutz in ihre Mitte. Aber
Jael bedurfte keines Schutzes. Zum drittenmal flehte er sie an. Und nun sprach sie: »Nicht mit meinem Fuß würde ich dich berühren. Als wir deine Hilfe brauchten, hast du gewinselt: >Ich bin ein Christc, hast zugelassen, daß wirkliche Männer allein dem Tod die Stirn boten.« Sie stieß einen schrecklich krächzenden Laut aus, Ausdruck ihrer tiefsten Verachtung. Und nun spien die Juden ihn an, zahnlose Frauen, kleine vaterlose Kinder. Mit einer gebieterischen Geste ihrer schmalen Hand, die ihn einst gestreichelt hatte, hieß sie ihn gehen. Und er ging. Die Worte des Abscheus, die sein Volk ihm nachrief, dröhnten in seinem Kopf. Er ging in Eusebios’ kahles Zimmer und betete dort mehrere Stunden vor dem Kruzifix, ein Gequälter, der kein Jude hatte sein dürfen und jetzt als Christ nicht anerkannt wurde. Aber am Ende seines Gebets war ihm klar geworden, was er zu tun hatte: die Einsamen aufzusuchen, die Gott in der Einsamkeit der Syrischen Wüste dienten.
Am Rande seiner so sehr geliebten Stadt bestieg Rabbi Ascher ha-Garsi sein weißes Maultier und führte seine Juden ins Exil. In der ersten Nacht schliefen die Heimatlosen neben der Straße, in der zweiten in Zefat. Am nächsten Morgen aber tat der alte Rabbi etwas Merkwürdiges: Solange die Trümmer Twerijas von der aus Zefat nach Osten führenden Straße her sichtbar waren, weigerte er sich hinzublicken. Hababli, der Färber, der neben dem Maultier ging, sagte: »Ich kann keine Häuser in Twerija erkennen, Rabbi.« Aber der Alte starrte geradeaus. Wenn die marmorne Stadt, in der er Unvergeßliches erlebt, in Trümmern lag, so wollte er der Verwüstung auch
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