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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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nicht einen einzigen Blick schenken. Als der halbe Nachmittag verstrichen war, konnte man die Stadt nicht mehr sehen, und Ascher hatte ihr nicht Lebewohl gesagt. Am Abend jedoch, als die ins Exil Ziehenden sich in tiefen Tälern verloren, trennte sich der alte Mann von den anderen und wandte sein Gesicht dorthin, wo die Stadt des Herodes Antipas gestanden hatte -die herrliche Stadt bei den heißen Quellen und dem See, die Stadt, in der die Gesetzeslehrer unter einem Weinstock disputiert hatten. Er kniete zum Gebet nieder, wandte seine Gedanken aber nicht Gott zu oder seinen Erinnerungen an Twerija, sondern jener Höhle, die am Berg über der Stadt lag: Rabbi Akiba, laß mich in den kommenden Jahren deinen Mut haben. Laß mich in Babylonien deine Einsicht in die Liebe des Allmächtigen gewinnen. Am Morgen darauf führte der kleine Gottesmann seine Juden aus Palästina fort und in die Diaspora, die nahezu sechzehnhundert Jahre währen sollte.
    So waren in Makor, zum viertenmal in seiner Geschichte, keine Juden mehr. Sanherib hatte sie zerstreut, Nebukadnezar sie in die Gefangenschaft, Vespasian sie in die Sklaverei fortgeführt. Dreimal waren Entronnene zurückgekehrt und hatten sich wieder angesiedelt. Die Vertreibung durch die Byzantiner jedoch drohte etwas Endgültiges zu werden, denn bei ihr hatten Gründe des Glaubens mitgespielt, die sehr viel länger wirksam sein mochten.
    Als der letzte Jude gegangen, als Markos in der Syrischen Wüste verschwunden war, aus der er Jahre später als ein gewaltiger Gottesgelehrter wiederkehren sollte, ging Johannes an die traurige Arbeit, die Synagoge dem Erdboden gleichzumachen und für die Kirche Platz zu schaffen. Jedesmal, wenn er einen Stein abbrach, gab es ihm einen Stich ins Herz. Die Bilder der Tiere, die er mit so viel Liebe gemeißelt hatte, waren zerschlagen, die verzierten Türstürze heruntergestoßen; der Fries mit der in steter Bewegung sich wiederholenden Swastika lag im Schutt; die Säulen standen als Stümpfe da, und sein Mosaik war nichts als ein sinnloser Haufen von Steinchen. Nur noch eines konnte Johannes tun: alle Erinnerungen an den Ort tilgen, und die Steine und Säulen aussondern, die noch zu gebrauchen waren. Deshalb wies der
    Steinmetz seine Arbeiter an, die unzerbrochnen Säulen zu bergen und Eisenbänder zu schmieden, mit denen die zerbrochenen wieder zusammengefügt werden konnten. Frauen ließ er in Körben die Mosaiksteinchen sammeln und sie für die Wiederverwendung reinigen. Doch als die Basilika auf dem Platz der Synagoge errichtet war und es Zeit wurde, an den Entwurf des neuen Mosaikbodens zu gehen, merkte Johannes, daß er nicht fähig war, aus den gleichen bunten Steinen die frohen Bilder vergangener Zeiten zu neuem Leben zu erwecken.
    Schicht VI Ein Tag im Leben eines Wüstenreiters

    Islamisches Ornament auf weißem Kalkstein aus der OmarKapelle, die mohammedanischen Gläubigen in der Basilika der heiligen Maria Magdalena zu Makor Vorbehalten war. Angebracht im Oktober 644 n. Chr. (Jahr 22 der Hedschra). Im Auftrag deutscher Kreuzritter im Mai 1099 mit fünf eingemeißelten Kreuzen teilweise überdeckt. Am Nachmittag des 26. März 1291, während der Belagerung der Stadt, abgefallen.

    Seit zweitausendachthundertsiebenunddreißig Jahren lebten Juden in Makor, als die Araber kamen.
    Gegen Morgen des 22. November 635, eines kalten, regnerischen Tages, sattelten zwei Hundertschaften arabischer Krieger in der überfüllten Karawanserei am See ihre Kamele. Ein wichtiges Unternehmen, von dessen Ausgang die weitere Ausdehnung des Islam in Palästina und Afrika abhing, stand ihnen bevor. Der Schein eines Lagerfeuers flackerte auf den weißen Gewändern. Lärmend liefen die Männer der ersten Hundertschaft hin und her. Ihre Säbel funkelten. Ein kleiner, drahtiger, energischer Araber, Hauptmann Abu Said, war ihr Anführer, ein fanatischer Mann, dessen Befehle wie das Zischen einer Schlange klangen - Ausdruck des wilden Mutes, mit dem er seine Wüstenreiter bei der Eroberung reicher Städte ins Gefecht geworfen hatte. Während er die Sättel und Schwerter überprüfte, leuchtete sein Gesicht im roten Widerschein des Feuers auf wie das eines Rachegeistes, der drohend am Stadtrand von Tiberias hockte, um jeden Augenblick voller Wut zuzuschlagen. Schließlich konnte Abu Said seine Ungeduld nicht länger bezähmen. Ohne auf einen endgültigen Befehl aus der stillen Hütte zu warten, in der sich der Oberbefehlshaber einquartiert hatte, schwang er sich in

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