Die Quelle
blitzschnell nach dem vermeintlichen Feind um. Es war ein Frosch, der in weitem Sprung in das sumpfige Wasser hüpfte. Giftig grün spritzte es auf.
Langsam und vorsichtig führte Abd Omar seine Kolonne weiter über den morastigen Pfad. Der Regen rauschte. Die Hufe der Kamele sanken mit glucksendem Geräusch tief in den Schlamm ein. Aufmerksam betrachtete der Araber das Gelände. Er sah Vögel, die ihm unbekannt waren, und sah in der Ferne Wildschweine. Er sah die Binsen mit ihren federzarten Spitzen und sah die Reiher, die unbeweglich im Wasser standen. Erst wenn die Kamele sich näherten, flogen sie mit wuchtigen Schlägen ihrer Schwingen auf und zogen in weiten Kreisen über den Regenhimmel dahin, als erstiegen sie eine im Unendlichen verschwindende Wendeltreppe.
Für einen Mann aus der Wüste war es erschreckend, dieses Sumpfland. Für einen Augenblick verspürte er den kaum zu bezähmenden Wunsch umzukehren. Wie gern wäre er jetzt bei Abu Said auf den Bergen! Wie gern würde er gegen eine Stadt wie Safat anstürmen und ihre Verteidiger in einer Orgie von Feuer und Blut vernichten! Aber noch mehr sehnte er sich nach der Wüste, dem weiten, reinen Reich seiner Seele. Mitten im Sumpf dachte er zurück an die Zeit, als er ganz allein den Rest einer Karawane von Damaskus nach Medina zurückgeführt hatte, weil seine Gefährten in Damaskus geblieben waren. Auf dieser Reise hatte er sich jenem anderen Karawanenführer bis zu der Stelle angeschlossen, an der die Straße nach Jerusalem westwärts ab zweigt. Danach war er neun Tage lang weitergeritten, ohne einen Menschen oder ein Tier, ja nicht einmal eine Spur von Mensch oder Tier zu sehen. Ein großes Erlebnis war diese Reise für ihn gewesen, dieser Ritt durch das Herz der Wüste, wo die Menschen Gottes Gegenwart spüren. Mühsam unterdrückte Abd Omar seinen unsinnigen Wunsch, mit Abu Said jetzt Safat niederbrennen zu können. Seinen Widerwillen gegen Sumpf und Wald aber konnte er nicht bezähmen. Deshalb schritt er schnell aus. Irgendwann mußte dieses unheimliche Gelände einmal ein Ende haben. Doch die Kamele konnten nicht so schnell folgen, denn der morastige Boden schloß sich saugend um ihre hier so schwerfälligen Füße. Voller Ungeduld dachte Abd Omar: Kamele sind in der Wüste großartige Tiere. Hier aber taugen sie nichts.
Und immer noch der Sumpf, immer noch dieses langsame Dahinschleichen. Wieder begann der Araberhauptmann zu grübeln. Dreißig Jahre lang habe ich nichts anderes gewollt als die beiden Dunklen: dunkle Datteln und dunkles Wasser, das einzige, was ein richtiger Wüstenreiter braucht, denn mit ihnen beiden und mit einem guten Kamel kann ein Mann nahezu unbegrenzt lange in der Wüste aushalten. Einmal hatten er und seine Männer in der Wüste neunzehn Tage lang nur von den beiden Dunklen gelebt, und auch danach, als es wieder anderes zu essen und zu trinken gab, hatte er nur wenig davon genommen und seine Mahlzeit mit ein paar dunklen Datteln beendet.
Dunkel. Er dachte an seine dunkelhäutige Mutter, die er nie gekannt hatte, und an den geheiligten Stein im Herzen von Mekka, jenes kleine rötlich dunkle Felsstück, das dem Propheten so heilig gewesen war. Den Schwarzen Stein nannte man es. Als Mohammed gestorben war, hatte sich Abd Omar auf eine Pilgerfahrt zur Kaaba begeben, siebenmal den ehrwürdigen Stein umkreist und flüsternd die Worte seines Gebets gesprochen: »Gott dieser Kaaba, ich bezeuge, daß ich als Pilger gekommen bin. Klage mich nicht an: >Du bist nicht zu Meiner Kaaba gekommen, Abd Omare, denn Du siehst mich jetzt, einen demütigen Mann, der im Schatten Deines Steines steht. Vergib mir. Vergib Ben Hadad, dem Juden. Denn ich habe meine Pilgerfahrt gemacht, Du mußt es sehen.« Bei seinen Gedanken an den Schwarzen Stein, in dem Allah gegenwärtig war, fiel sein Blick auf das schwarze Sumpfwasser. Aber es war nicht wie das süße dunkle Wasser, das er kannte; es war ihm fremd. Und für einen Augenblick sah er in der Zukunft das Schwarze sich mit den anderen Farben vermischen, wie der Prophet es vorausgesagt hatte. Doch schnell verflüchtigte sich das Bild - noch konnte er nicht ahnen, was dieser Tag ihm bringen sollte.
Weiter ging es, immer weiter den schmalen Pfad zwischen Wald und Sumpf. Diese Bäume - diese drohenden
Wahrzeichen eines fremden Landes - schienen mit ihren Zweigen nach ihm zu langen. Grimmig gelobte Abd Omar: Wenn uns dieses Land gehört, werde ich die Bäume fällen lassen. Ein Mann braucht die Weite.
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