Die Quelle
Späher vorgeschickt. Jetzt lag die Straße nach Damaskus vor den Wüstenreitern. Die Späher kamen zurück und meldeten, daß alles ruhig sei. Hinter dem nächsten baumbestandenen Hügel mußte Makor liegen. Der Gewaltmarsch durch den Sumpf hatte sich gelohnt. Falls es noch zum Kampf kam, so mußte das in wenigen Augenblicken sein. »La ilaha illa Allah«, murmelte Abd Omar und lenkte sein Kamel zu den Pferden. Mit prüfendem Blick sah er von einem zum andern. Und dann war die uralte Straße erreicht, auf der seit eh und je alle Feinde in dieses Land gezogen waren. Die Straße war gut. Ganz kurz nur dachte Abd Omar noch einmal an das, was ihm am Ende des Marsches durch den Sumpf klargeworden war: Die Jahre, die vor mir liegen, werden Jahre des Alleinseins und des Kampfes sein. Wenn wir die Stadt genommen haben, sollte ich mir eine gute Sklavin suchen. oder vielleicht eine junge Witwe. Hatte nicht
Mohammed sich elf Frauen genommen, darunter zehn Witwen? Und nur wenigen Männern Arabiens war ein glücklicheres Familienleben gegönnt gewesen als dem Propheten!
Unter dem Regenhimmel harrten in Makor die Heiden dessen, was drohend heraufzog. Selbst in den dumpfesten Hirnen noch dämmerte eine Ahnung, daß das Kommen des Islam das Ende einer Welt und den Anfang einer neuen bedeutete. Wer waren diese Heiden, die der Anziehungskraft des Judenglaubens und dem Bekehrungseifer der Christen widerstanden hatten? Einige wenige waren Anhänger des Feuerkults der Perser geworden, als diese vor zwanzig Jahren Palästina überrannt und für kurze Zeit ihrem Reich einverleibt hatten. Andere, Sklaven aus den Ländern am oberen Nil, waren ihrem Serapis treu geblieben. Und dann gab es da noch eine kleine, aber im Glauben starke Gruppe; ihre Ahnen ließen sich zurückverfolgen bis zu den Höhlenmenschen. Und immer noch dienten diese letzten Nachfahren der Kanaaniter ihrem Baal.
So unglaublich es auch erscheinen mochte - diese Gläubigen des Baal, sie hatten allen widerstanden, den Ägyptern, Juden, Christen, Persern ebenso wie dem Kult des Antiochos Epiphanes und dem des Caesar Augustus. Sie waren dem schlichten Gott des Berges treu geblieben. In dunklen Nächten, zur Tagundnachtgleiche und dann, wenn die Oliven reiften, erklommen sie noch immer den Berg hinter der Stadt, wo der Monolith nur noch in ihrer Erinnerung stand, und dort beteten sie den alle Zeiten überdauernden Gott von Makor an.
Als die Statthalter des Byzantinischen Reiches Krieger auf dem Berg Wache beziehen ließen, damit sie jeden Heiden töteten, der dort oben Baal verehren wollte, blieben die zähen alten Kanaaniter in der Stadt und flüsterten einander das älteste und geheimste Geheimnis der Stadt zu: Die Väter ihrer Väter schon hatten erzählt, daß genau unter dem Altar der großen Basilika der Christen, für immer im Schoß der Erde verborgen, das unvergängliche Mal ihres Gottes stehe, eine Säule aus schwarzem Stein von der Zeit her, als die ersten Menschen nach Makor kamen. So nahmen diese Heiden vergnügt an den Gottesdiensten der Christen in der Basilika teil, hörten den Priestern zu und neigten sich ehrfürchtig vor dem Altar, fast noch häufiger, als der Christenbrauch es verlangte. Sobald aber die Byzantiner ihre Wachen zurückgezogen und die Priester nach Konstantinopel gemeldet hatten, der Baalkult sei nun endgültig ausgerottet, schlichen sich die unbeugsamen Heiden wieder nachts davon und erstiegen ihren heiligen Berg. Was aber war das Geheimnis, daß gerade dieser Glaube so außergewöhnlich lange fortleben konnte? Es mag wohl daher rühren, daß jeder, der so eng mit der Natur verbunden lebt wie die Menschen von Makor, in seinem Herzen von den Geheimnissen der Kräfte weiß, die den Regen und das Gewitter und die Jahreszeiten beherrschen; daß er von diesen Geheimnissen weiß nicht aus dem Verstand, der einen über die Frage streiten läßt, ob Jesus Christus einen Leib hatte oder deren zwei, einen Willen oder deren zwei, oder ob ein Jude am Sabbat einen Goldzahn tragen darf oder nicht, sondern der es aus dem Herzen weiß. Im Frühling, wenn die neuen Knospen sich an den Zweigspitzen entfalteten, um Blätter zu bilden und Blüten zuformen, aus denen sich die Früchte entwickeln, konnte selbst der dümmste Mensch in Makor begreifen, daß etwas Geheimnisvolles vor sich ging. Und er brauchte weder einen Priester noch einen Rabbi dazu, ihn in dieses Geheimnis einzuweihen. Am einfachsten war es doch, das Geheimnis des Werdens, Seins und Vergehens
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