Die Quelle
der Pöbel, während er durch die Gassen stürmte. Und die Bewohner von Gretsch - die keinerlei Grund hatten, die Juden zu verdammen - wurden von der Raserei angesteckt, verwandelten sich plötzlich in Angeber: »Dort wohnt ein Jude. Und dort!« Schon war das Haus aufgebrochen. Es krachte und klirrte. Schreie. Drinnen wurde geplündert, verwüstet, gemordet.
»Der Geldjude!« brüllte einer, der nie bei einem Juden Geld geliehen hatte. Wie eine monströse Bestie wälzte sich die entfesselte Meute in das südliche Ende der Stadt. Ein Christ zeigte auf Hagarsis Haus. Er selbst war nicht da. Seine Tochter wurde auf die Straße gezerrt, von groben Fäusten gepackt, hoch in die Luft geworfen, hinein in die Klingen der Speere. Und mit funkelnden Augen sahen die Mörder, daß sie ein Kind erwartete. Eine Frau kreischte: »Zwei habt ihr mit der erwischt.« Dann zertraten sie sie.
»Die Synagoge!« gellte ein Schrei. Sechzig Juden hatten in dem niedrigen, unansehnlichen Bau Zuflucht gesucht. »Verbrennen! Alle!« tobte der Pöbel. Bretter, Stühle, Holzscheite wurden vor den Eingang geworfen und angesteckt. Hoch auf schlugen die Flammen. Die Juden, halb erstickt vom
Qualm, versuchten, ins Freie zu gelangen. Mit Speeren trieb man sie zurück ins Feuer. Alle kamen um. Ihr Los war noch gnädig. Denn jetzt hetzten die Kreuzfahrer die jüdischen Frauen. Die alten wurden auf der Stelle umgebracht, mit Keulen niedergeschlagen, von Dolchen durchbohrt. Den jüngeren riß man die Kleider vom Leib und vergewaltigte sie, wieder und wieder, auf dem Markt, auf den Straßen. Hunderte standen dabei und röhrten Beifall. Dann hackte man den Geschändeten voll Ekel die Köpfe ab.
Zwei Stunden lang wüteten die Kreuzfahrer in den Straßen von Gretsch. Es waren zwei Stunden des Grauens - des Blutvergießens, Plünderns, Sengens, Schändens. Als die Mörder endlich genug hatten, Blut an den Mänteln und Rauch in den Augen, standen sie prahlend beieinander. »Es wäre doch verrückt gewesen, nach Jerusalem zu ziehen, wenn die Juden, die unsern Heiland gekreuzigt haben, hierbleiben und reich werden.« Achthundert Tote blieben zurück - als erster Teil eines Erbes, an dem Deutschland für immer zu tragen haben sollte. Die Kreuzfahrer zogen fort. Ihr Ruf war: »Gott will es!«
In der furchtbaren Stille, die über Gretsch lastete, kroch ein Jude aus dem Versteck, in das er sich vor einigen Stunden geflüchtet hatte. Sein venetianisches Gewand mit dem kostbaren Pelzkragen war zerdrückt und beschmutzt. Vorsichtig schlich sich der Mann durch die Gassen. Er sah die niedergebrannte Synagoge, sah die siebenundsechzig verkohlten Leichen. Er sah, was von seiner Tochter übriggeblieben war. Er sah die schwelenden Trümmerstätten und die verzerrten Gesichter seiner christlichen Nachbarn, deren so viele seine Freunde gewesen waren. Sie erkannten ihn, den Juden, einen der Großen ihrer Stadt. Aber sie waren so gesättigt vom Töten, daß keiner seine Hand erhob gegen den gebrochenen Mann. Wir verlassen ihn hier, den ehrlichen Geldmann, wie er das Grausige in sich aufnimmt, das von seinem Leben geblieben ist, und mit glasigem Blick durch die Gassen von Gretsch wankt. Aber wir verlassen ihn nicht ganz, denn er wird immer wieder bei uns sein. Er heißt Hagarsi von Gretsch, der Nachfahre der Grützenmacher aus der Stadt Makor. Und bei seinen Nachbarn wird er, wenn sie erst einmal seine Größe und seinen Mut erkannt haben werden, weiterleben als Gottesmann.
Als die Kreuzfahrer an diesem Abend ihr Lager am Rheinufer aufgeschlagen hatten, begab sich Graf Volkmar zum Zelt der Hauptleute. Hier trat er auf seinen Schwager zu, der sich in einem Stuhl räkelte, und fuhr ihn an: »Wie konntest du es wagen, die Juden meiner Stadt umzubringen?«
Gunther hatte keine Lust zu streiten. »Jeder weiß, daß sie Gottes Feinde sind«, entgegnete er, ohne seine Stimme zu heben, »und wir hier im Zelt haben uns gerade geschworen, daß wir keinen am Leben lassen am Rhein.« Den Rittern war es anzusehen, daß sie zu diesem Entschluß standen.
Volkmar, abgestoßen von der Kälte, mit der man ihm diesen niederträchtigen Beschluß mitteilte, packte Gunthers Arm. »Das darf nicht sein«, sagte er. »Denk doch an den Wahnsinn, den sie in Gretsch angerichtet haben.« Gunther schüttelte lässig die Hand seines Schwagers ab. »Es tut mir leid, daß das Feuer in der Synagoge um sich gegriffen hat«, entschuldigte er sich, fest entschlossen, diesen so erfolgreichen Tag nicht mit einem
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