Die Quelle
noch schlimmer. Am Nachmittag des 15. Juli 1096 verlegte eine riesige Schar barfüßiger Bauern dem Trupp des Grafen Volkmar den Weg und schnitt ihn so vom übrigen Heer ab. Etwa siebenhundert Deutsche wurden gefangengenommen. Zu seinem Erschrecken mußte der Graf sehen, wie die Bulgaren begannen, einem nach dem anderen den Kopf abzuschlagen. Er selbst allerdings wurde gerettet, denn ein Bauer erkannte ihn als einen vornehmen Herrn und rief: »Für den und seine
Frauen bekommen wir Lösegeld.« So wurde Volkmar nach Sofia gebracht und dort in den Kerker geworfen.
Das aber war eigentlich das Beste, was ihm auf dem ganzen Kreuzzug begegnete. Denn während er mit seiner Frau und seiner Tochter im Gefängnis darauf wartete, daß Wezel mit dem Lösegeld kam, mußten sich Gunther und seine Ritter durch Bulgarien kämpfen und verloren dabei fast ein Drittel ihres Heeres. Als endlich Konstantinopel erreicht war, fand Gunther alle Tore der großen Mauer versperrt.
»Öffnet die Tore, oder wir stürmen!« tobte Gunther. Die Christen von Byzanz antworteten auf die Drohung, indem sie die Kreuzfahrer mit starken Truppen angriffen, die den Deutschen übel zusetzten. Weitere neunhundert fielen. Solchermaßen übel belehrt, wie man sich zu benehmen hatte, wurden die Kreuzfahrer in die herrliche Hauptstadt des Ostens eingelassen, gerade rechtzeitig, um sich mit den Scharen des Peter von Amiens, des Eremiten, zu vereinigen, der mit einer kleinen Flotte von Europa nach Asien übersetzte. Tiefbewegt stand Gunther am Bug seines Bootes, um auf Asiens Strand zu springen und nun den Marsch auf Jerusalem anzutreten. Von den sechzehntausend Kreuzfahrern, die mit ihm am Rhein aufgebrochen waren, hatte er nur noch weniger als neuntausend. Aber als die Boote an Land stießen, riefen alle mit lauter Stimme: »Gott will es! Tod den Ungläubigen!«
Am 1. Oktober, lange nachdem Gunther in Asien eingefallen war, kam Wezel von Trier mit dem Lösegeld nach Sofia. Als der Vogt des Gefängnisses das Geld in Empfang nahm, sagte er zu Wezel: »Wenn alle Kreuzfahrer wie dein Graf Volkmar gewesen wären, hätten die Bulgaren ihnen nichts getan.« Mit spürbarem Bedauern verabschiedete er sich von dem Grafen und seiner Familie und gab ihnen eine bewaffnete Eskorte auf den Weg in die Hauptstadt mit. »Möget ihr die Ungläubigen vernichten«, rief er den Scheidenden nach. Am 18. Oktober erreichten Volkmar und die Seinen die mächtigen Mauern. Graf Volkmar ließ halten, um die Befestigungen zu betrachten: Während die Burgmauer von Gretsch vier Steine dick war, hatten die Mauern von Byzanz deren zwanzig. »Gegen diese Feste möchte ich nicht anrennen müssen«, sagte er zu seinem Kaplan.
»Herr«, unterbrach ihn einer der bulgarischen Krieger, »das ist erst die äußere Mauer.«
Mit wachsendem Erstaunen betraten die Deutschen die Stadt. Angesichts der dreifachen Umwallung sagte Volkmar nur: »Diese Stadt kann durch einen Angriff nie genommen werden.« Der Bulgare aber erzählte ihm: »Die festen Städte der Türken in Asien sind noch viel stärker. Ihr müßt sie einnehmen, wenn ihr Jerusalem erreichen wollt.« Zum erstenmal bekam Volkmar eine Ahnung von dem, was ihm an Kämpfen bevorstand.
Mit großen Augen zog er weiter zu der Stelle, an der die Straße einen Blick auf das Goldene Horn freigibt. Viele Schiffe lagen am Strand, und auch auf dem jenseitigen Ufer sah Volkmar Läden und Basare voller Waren. Das war nicht der heimische Rhein; dies war das Herz eines großen Reiches. Zur Rechten lagen die Kuppeln der Hagia Sophia. Was für eine Stadt!
Bei den Beamten des Kaisers erkundigte sich Volkmar, wo das Kreuzfahrerheer sei. Er erfuhr, daß Herr Gottfried von Bouillon in Kürze eintreffen werde, und auch Herr Robert von der Normandie ziehe heran.
Volkmar hörte erleichtert diese Namen. Aber, so sagte er, eigentlich habe er Gunther von Köln und Peter von Amiens gemeint.
Das Gesicht des Beamten verdunkelte sich, als er erwiderte: »Was diese betrifft, so müßt Ihr andere fragen.«
In den Quartieren der Franken, wie man hier alle Völker Westeuropas nannte, bekamen Volkmar und Wezel zu hören, daß Gunther und die Deutschen schon im August nach Asien übergesetzt und bereits in Kämpfe mit den Türken verwickelt seien. Volkmar war über diese Neuigkeit niedergeschlagen, jedoch nicht etwa, weil er dachte, sein Schwager komme eher zu seinem erträumten Lehen als er, sondern, weil er, Volkmar, geschworen hatte, gegen die Heiden zu kämpfen. Er sprach
Weitere Kostenlose Bücher