Die Quelle
Männer Gretsch verlassen, um nach Jerusalem zu ziehen, und zurückkommen möchten. und wenn sie dabei gegen Ungarn, Bulgaren, Türken kämpfen müssen.«
»Das letzte Mal hast du gesagt, daß die Ungarn und Bulgaren Christen sind.«
»Sie sind es, aber ihr müßt trotzdem gegen sie kämpfen.«
»Wir wollen gegen die Ungläubigen ausziehen«, betonte Volkmar. »Von hundert Männern, die ausziehen, werden neun glücklich sein, wenn sie zurückkommen.«
Volkmar war wie vor den Kopf geschlagen. Er hatte gedacht, gegen die Ungläubigen in Jerusalem zu kämpfen, das wäre nicht viel anders als gegen die Normannen in Sizilien. Auf beiden Seiten mußten ein paar sterben, aber die meisten kamen eben mit einer Narbe hier oder da zurück. Der Jude fuhr fort: »Wenn Ihr uns also verlaßt, besteht wenig Aussicht, daß ich Euch wiedersehe.« Er stockte. »Oder daß die Frau Gräfin Euch wiedersieht.«
»Würdest du sie mitnehmen?« fragte Volkmar. »Ja. Aber nicht Euren Sohn. Wir werden einen Grafen in Gretsch brauchen.«
Volkmar seufzte und blickte auf die Bücherreihe über dem Kopf des Geldmannes - in der Burg gab es kein einziges. Er fragte: »Kannst du mir Geld auf die Felder jenseits des Flusses leihen?«
»Selbstverständlich. Aber wenn Ihr fortgeht, müßt Ihr ein Testament dalassen zu meinem Schutz.«
Ohne sich noch zu entscheiden, verließ der Graf das Haus und ging über den Markt, wo Frauen die ersten Erträge des Frühlings verkauften: feine Zwiebeln und Bohnen - und als er die Burg erreichte, tat er etwas, was er lange nicht getan hatte. Er küßte seinen Sohn. Dann riß er das rote Kreuz von der Schulter des Knaben, das seine Mutter am Morgen auf den Mantel genäht hatte. »Du gehst nicht mit.« Sofort begann der Knabe zu weinen. Volkmar rief die Seinen zusammen. Alle kamen in den kalten, kahlen Raum, denn eine Burg damals war nicht viel mehr als eine geräumige Scheune mit einem Steinboden. Die Stühle waren roh, der Tisch ungehobelt und das Leinen rauh. Ein durchdringender feuchter Geruch nach Pferdeschweiß und Harn lagerte überall im Gebäude, und es gab keine Stoffe an den Wänden, um die Feuchtigkeit zu verdecken. Man kannte auch keine Bilder, und Musik hörte man nur, wenn ein Spielmann kam. Immerhin hielt ein offenes Feuer die naßkalten Räume im Winter einigermaßen warm, und es gab genug Essen, das allerdings fast genauso zubereitet wurde wie bei den germanischen Vorfahren vor sechshundert Jahren.
»Mathilda und Holda werden mit mir reiten«, verkündete Volkmar. »Otto bleibt hier in der Burg mit seinem Oheim.« Er zog seinen Jungen zu sich und hielt das Kinn des Jungen, damit es nicht zitterte.
Mathilda, damals Mitte dreißig und noch ebenso anziehend wie zu der Zeit, als Volkmar um sie geworben hatte, freute sich darüber, daß sie am Kreuzzug teilnehmen durfte, und sie verstand auch, warum Otto zurückbleiben sollte. Sie tröstete ihren Sohn, hörte dabei aber ihrem Mann zu, der Wezel und den Schreiber gerufen hatte. »Wenn ich nicht zurückkehre, sollen die Felder jenseits des Flusses in den Besitz des Klosters von Worms übergehen, das zuerst die Schulden bezahlen soll, die ich bei dem Juden Hagarsi habe, den jedermann unter dem Namen Gottesmann kennt. Die Burg, die Stadt und alles Land soll meinem guten Weib Mathilda gehören, oder, wenn sie nicht zurückkehrt, meinem Sohn Otto.« Das ins einzelne gehende Testament setzte Volkmar auf mit den bedachtsamen Worten eines Mannes, der Gott, seine Familie und sein Lehen liebte; es schloß mit einem Abschnitt, der in späteren Jahren, als man die Motive der Kreuzzüge zu verstehen suchte, oft zitiert worden ist: »Hiermit sei kundgetan, daß ich nach Jerusalem ziehe, weil der Wille Gottes befolgt werden muß in dieser Welt und weil die Stätten, an denen unser Heiland Jesus Christus gelebt hat, nicht in den Händen der Heiden bleiben sollen. Ich ziehe mit einer großen Schar. Wir alle sind ganz in Gottes Hand gegeben, denn wir gehen als Seine Knechte, um Seinen Willen zu erfüllen.« Als die Worte noch einmal laut verlesen wurden, nickte Volkmar und machte sein Zeichen unter das Dokument. Es glich, wie noch heute zu sehen, dem roten Kreuz, das er damals trug.
Die nächsten Wochen ging es ungewöhnlich betriebsam zu. Graf Volkmar von Gretsch, der mit mehr als tausend Mann nach Jerusalem ziehen wollte, überließ nur wenig dem Zufall. Für seine Gemahlin und seine Tochter wurden acht Wagen mit je vier Zugpferden bereitgestellt sowie alles für
Weitere Kostenlose Bücher