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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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die beiden edlen Frauen und ihre sechs Dienerinnen Notwendige. Acht weitere Wagen hatten Nahrungsmittel, Werkzeuge und Waffen zu befördern. Zwölf Leibeigene sollten für den Grafen und für Wezel von Trier sorgen. Dazu kamen acht Pferdeknechte für die zwei Dutzend Reitpferde der Ritter, die mit dem Grafen zogen. Etwa tausend Männer, Bauern, Bürger, Mönche und Leibeigene, bildeten den Haupttrupp. Auch an die hundert Frauen hatten sich anschließen wollen; die Zahl verkleinerte sich, nachdem Mathilda die bekannten Dirnen fortgeschickt hatte.
    Der 24. Mai 1096 war ein Sonntag. Am Morgen standen die Gretscher vor dem Stadttor und warteten auf Gunther und seine Männer. Etwa um zehn Uhr erschienen Vorreiter; bald darauf folgte ihnen Gunthers Schar, an die sechstausend Menschen. Sehr schnell war zu ersehen, daß Gunther sein Gefolge nicht so sorgfältig ausgewählt hatte. Viel Pöbel kam aus Köln: Diebe, entsprungene Sträflinge, Huren, Schuldner, die ihren Gläubigern davongelaufen waren, und Bauern, die keine Lust mehr für die Arbeit auf den Feldern hatten. Und alle gierten sie nach dem Abenteuer. Gunther, der jetzt eine neue Rüstung und einen roten Mantel mit blauem Kreuz trug, kam zwischen Wagen und Vieh dahergaloppiert, begleitet von elf Rittern.
    »Hast du je solch ein Heer gesehen?« rief Gunther voll wilder Freude und begrüßte mit seinen Rittern die Wartenden.
    Volkmar ersparte sich die Antwort, als er sah, wie der Pöbel sich um seine wohlgeordnete Mannschaft drängte. Er sagte nur kurz: »Wezel soll uns den Segen erteilen, bevor wir aufbrechen.« Alle entblößten ihre Häupter, als der Priester seine Stimme erhob: »Gott im Himmel, beschütze dieses Dein heiliges Heer, das nun nach Jerusalem zieht, um es von den Heiden zurückzuerobern. Stärke unsere Arme, denn wir kämpfen Deinen Kampf. Jesus Christus, führe uns, denn wir tragen Dein Kreuz. Tod den Ungläubigen!«
    Die Menge antwortete: »Tod den Ungläubigen!« In diesem verhängnisvollen Augenblick ging gerade ein Jude von Gretsch vorbei, der Kleider auf den Märkten verkaufte. Gunther schrie: »Gott und Heiland! Warum ziehen wir nach Jerusalem, um gegen Seine Feinde zu kämpfen, wenn wir Seine ärgsten Feinde hier zurücklassen, damit es ihnen wohl ergehe?«
    Und schon jagte er durch das Tor und schlug mit einem Hieb seines Schwertes dem ahnungslosen Juden den Kopf ab. Der Mob heulte zustimmend auf, Gunthers Ritter spornten ihre Pferde und ritten in die Stadt, Tausende folgten ihnen zu Fuß.
    »Schlagt die Juden tot!« brüllten sie.
    Eine Jüdin ging über den Markt. Ein Speer durchbohrte sie. Entsetzen in den Augen, fiel die Frau in sich zusammen. Der Pöbel brüllte. Hunderte von Füßen trampelten die Frau zu einer unkenntlichen Masse.
    Volkmar, fassungslos über das, was da geschah, und sich doch dessen bewußt, was jetzt folgen mußte, versuchte sich durch die Tobenden einen Weg zu kämpfen. »Halt!« schrie er. Aber keiner hörte auf ihn.
    Der Mob jagte nach Juden. Warum? Keiner hätte es erklären können. Alljährlich in den Osterpredigten hatten ungebildete Priester gerufen: »Die Juden haben Jesus Christus gekreuzigt, und Gott will, daß ihr sie straft.« In hochgelehrten Schriften der Domherren und Bischöfe, die keiner von denen hier je zu Gesicht bekommen hatte, hieß es, daß im Alten Testament Jesaja prophezeit habe, eine Jungfrau werde Jesum Christum zur Welt bringen, daß aber die Juden die Lehren ihres eigenen Buches hartnäckig zurückwiesen. »Für diese Sünde sind sie in Ewigkeit verworfen.« Aber jeden Tag beobachtete jeder, wie die Juden Geld ausliehen, was allen ehrlichen Menschen verboten war, und manche hatten am eigenen Leibe erfahren, was die Zinsen bedeuteten, die der Jude verlangte. Stärker als all dies jedoch war etwas anderes: der tiefverwurzelte, aber selten ausgesprochene Verdacht, daß es in einer Welt, in der alle anständigen Menschen Christen waren, keine Gruppe geben dürfe, die halsstarrig an einem als falsch erwiesenen Glauben hing. Das war widersinnig, unerträglich. Die Juden, ohnehin Fremde und deshalb schon verdächtig, waren eine lebende Beleidigung des wahren Christenglaubens, und wenn man half, sie zu vertilgen - mußte man damit nicht Gottes Werk tun? Und so hatte Gunther nur einen ungeheuren schlummernden Haß geweckt, als er schrie, warum man nach Jerusalem ziehen und gegen Gottes Feinde kämpfen wolle, hier in Gretsch aber den ärgeren Feind zurücklasse.
    »Schlagt die Juden tot!« grölte

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