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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Zimmers. Ma Cœur besaß siebzig Bände, eine für die damalige Zeit bemerkenswerte Bibliothek. Die meisten waren von Musaffar; in Aleppo, Smyrna oder Bagdad, wo immer er gerade hinkam, hatte er die Handschriften für seinen Freund gekauft, denn wie viele Araber seiner Zeit hielt er es für sonderbar, daß sich die Kreuzritter so wenig für die Wissenschaften interessierten.
    Als das gemütliche Mahl beendet war, nahm Musaffar einen letzten Schluck Wein, küßte die Gräfin zum Abschied, gab dem kleinen Volkmar ein paar Münzen aus einem fernen Land jenseits von Persien und ging Arm in Arm mit dem Grafen hinaus zu seinen Kamelen. Draußen erst, als sie allein waren, fragte er ruhig: »Und nach dem Waffenstillstand?«
    Graf Volkmar dachte eine Weile nach, bis er antwortete: »In Saint Jean d’Acre ist man hoffnungsvoll. Aber ich habe meine Bedenken. Die Mamelucken können uns vertreiben.«
    »Das glaube ich auch. Was wollt Ihr aber tun?«
    »Ich gebe meine Burg nicht auf.« Der Graf stutzte einen Augenblick. War Musaffar vielleicht ein Spion? Wenn ja, dann hatten ihn die Mamelucken dazu gezwungen. Aber warum? Sie kannten ja die Wahrheit ohnehin. »Ich leiste Widerstand«, wiederholte er fest. »Und Euer Sohn?«
    »Das ist die Frage«, antwortete Volkmar, und man konnte ihm anhören, wie ratlos er war.
    »Warum schickt Ihr ihn nicht nach Deutschland zurück?«
    »Mein Vater ist in Deutschland gewesen. Ich weiß noch, was er uns erzählt hat: Im Vergleich zu uns leben die Deutschen wie die Tiere. Und für sie war er zum Araber geworden. Sie haben wohl sogar gezweifelt, ob er noch den rechten Glauben habe. Und zwischen ihm und seinen Vettern gab es wenig Gemeinsames: Er liebte die Bücher und die Wissenschaften, und sie konnten nicht einmal lesen; er hatte philosophische
    Gespräche gern, aber sie hatten nichts im Kopf als die Jagd. Kurz, er hatte von den Arabern eine höhere Gesittung angenommen, und sie waren abergläubische Barbaren geblieben. Am Ende des Besuchs war jeder froh, als er ging -und er selbst am meisten. Ich glaube nicht, daß Deutschland meinem Sohn gefallen wird.«
    »Ich warne Euch, Herr Volkmar. Er sollte fort von hier.«
    »Ich weiß. Aber wohin?« Die beiden Freunde umarmten einander. Bald danach zog der Araber mit seinen Kamelen von dannen.
    An einem sonnigen Morgen spät im April des Jahres 1290 weckte Graf Volkmar seinen elfjährigen Sohn und führte ihn in einen Raum, wo Knappen die erste vollständige Rüstung für den Knaben auf dem Boden ausgelegt hatten. »Wir haben durch gefährliches Gebiet zu reiten«, erklärte ihm der Graf. »Sicheres Geleit ist noch kein Schutz gegen Landstreicher und Räuber.« Nachdem die Knappen dem jungen Grafen die alltägliche Unterkleidung angezogen hatten, legten sie ihm ein gestepptes und mit in Essig eingeweichter Watte gepolstertes Wams aus dicken Leinenschichten an, als Schutz gegen Pfeile. Darüber kam ein leichtes Kettenhemd aus zahllosen gegeneinander verschieblichen Ringen, das ihm bis zu den Knien reichte; hinten war es geschlitzt, so daß er damit zu Pferde sitzen konnte. Die Füße wurden in Eisenschuhe gesteckt, an denen vom Spann aus eine lange Zunge zum Schutz des Schienbeins nach oben ragte. Und da die Pilger in der heißen Sonne reiten mußten, warfen ihm die Knappen einen Überwurf aus hauchdünnem Gewebe über, auf den in blauer Seide das Wappen der Burg gestickt war: ein Rundturm, flankiert von einem zweiten.
    Stolz rasselte der kleine Volkmar zu seiner Mutter, um sie zum Abschied zu küssen. Er hatte keine Lanze, aber er durfte ein Spielschwert und einen dicken Holzschild tragen, der mit festem Leder überzogen und mit Eisen beschlagen war. Voll Befriedigung sah er im Hof, daß alle Ritter wie er gekleidet waren, die Erwachsenen lediglich schwer bewaffnet. Und alle trugen sie Topfhelme, die wie Eimer aussahen; durch schmale Schlitze konnte man sehen und atmen. Die Zugbrücke der Burg wurde herabgelassen, knarrend öffneten sich die dicken Torflügel. Über den Graben ging es hinunter in die ummauerte Stadt, vorbei an der Kirche der römischen Katholiken, an der Kirche der syrischen Maroniten und hinauf zur alten byzantinischen Basilika der heiligen Maria Magdalena, in der seit neunhundert Jahren die Pilger Halt machten, um Gottes Segen zu erflehen, bevor sie nach Osten aufbrachen, zum See Genezareth und zu den Stätten des Wirkens Christi. Am Kirchentor stiegen die Ritter ab. Drinnen knieten sie in der düsteren Kapelle und beteten um einen

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