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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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durfte ein Graf von Ma Cœur diesen so heiligen Ort nur mit der Erlaubnis eines Mamelucken-Sklaven aufsuchen! Was hatten die Kreuzfahrer falsch gemacht? Warum hatten die Männer seines Geschlechts Nazareth nicht halten können, warum die Nachfolger Balduins nicht Jerusalem? Warum mußten die Stätten, an denen der Heiland gelebt, gelehrt und gelitten hatte, in der Hand der Ungläubigen bleiben und für die Christen auf alle Zeit verloren sein? Er begriff es nicht. Demütig senkte er das Haupt und flüsterte: »Maria, Mutter Gottes, wir haben Dich enttäuscht. Ich kann es nicht verstehen. Aber wir haben verloren, und bald werden wir vertrieben. Vergib uns, Maria. Wir haben den rechten Weg nicht gefunden.«
    Fast eine Stunde blieb Volkmar allein an dem heiligen Ort. Und mit düsteren Gedanken trat er hinaus in das Sonnenlicht. Zu seinem Sohn aber sagte er: »Geh hinein und sieh dir die Stelle an, wo das Wort Fleisch geworden ist.« Und von Stund an sprach Graf Volkmar nie mehr von der Grotte der Verkündigung zu Nazareth. Der Ritt ging weiter zum Berg Tabor. Hier war Christi Erscheinung von der eines Sterblichen zu der des wahrhaft Göttlichen verklärt worden. Die Pilger blieben bei den Mönchen, die trotz der Bedrohung durch die Mamelucken weiter auf ihrem Berg lebten. Am nächsten Tag erreichte Graf Volkmars Schar die lieblichste aller heiligen Stätten, das Städtchen Cefrequinne, das Kana der biblischen Zeit. Hier zeigten ihnen ein Mohammedaner und seine Frau das Bett, auf dem Jesus bei der Hochzeit geruht hatte. Der kleine Volkmar fragte auf arabisch, ob er sich auf das Lager des Heilands legen dürfe. Der Moslem antwortete: »Für eine Münze darf sich jeder drauflegen.« Der kleine Volkmar war glücklich. Auch zwei der sechs Krüge, deren Wasser Christus in Wein verwandelt hatte, waren zu sehen. Ehrfürchtig tastete der Knabe über den rauhen Ton und verspürte die Wirklichkeit Jesu. »Sind das die echten Krüge?« wollte er wissen, als seine kleinen Finger den Henkel umfaßten, den auch Jesus in der Hand gehabt haben mochte.
    »Ja«, sagte der Graf. Auch er berührte einen der schweren Tonkrüge. Die Verwandlung des Wassers in Wein war das erste Wunder gewesen, der erste Schritt des Zimmermanns von Nazareth auf dem Weg zum Kalvarienberg. Volkmar glaubte die lange verhallten Worte zu hören, die Wezel vom ersten Grafen Volkmar aufgezeichnet hatte: »Denn an dem Morgen, an dem ich Gretsch verlassen habe, bin ich in Jerusalem gewesen.«
    Was hatte über das Schicksal der Kreuzzüge entschieden? grübelte Volkmar, als er in dem Haus der Hochzeit von Kana stand. Von wann ab war die Niederlage unvermeidlich geworden? Wohl irgendwann im frühen vorigen Jahrhundert schon, zur Zeit Volkmars II. - damals, als es sich herausstellte, daß man im Abendland nicht genug Siedler fand, die bereit waren, die Gefahren der langen Reise ins Königreich Jerusalem auf sich zu nehmen. Wir haben nie genug Leute gehabt, dachte der Graf. Wie oft haben wir es erlebt, daß dieser Fürst und jener Graf hier im Heiligen Land gestorben ist, daß die Frauen, die Söhne dahingegangen sind - und niemand nahm ihre Plätze ein. Wir waren immer so wenige. so wenige. In dieser schlichten Hütte, in der Jesus sein irdisches Wirken begonnen hatte, rief sich Volkmar die Namen ins Gedächtnis: Balduin und Bohemund, Tankred und Löwenherz und jener falsche Reynald von Chatillon, der so vieles zerstört hatte. »Gott! Wie gerne hätte ich den Hals dieses Mannes jetzt hier zwischen meinen Händen!« rief Volkmar. Sofort jedoch schämte er sich seiner Maßlosigkeit an dieser heiligen Stätte, aber der mohammedanische Wärter hatte ihn gar nicht beachtet. Volkmar murmelte vor sich hin: »Zwei Dinge sind es, um derentwillen ich unseren Feind Saladin achte. Er hat in unserer Burg nichts zerstört, und er hat Reynald mit seinen eigenen Händen umgebracht.« Tiefe Trauer befiel Volkmar; er setzte sich auf das Lager Christi und starrte zu Boden. Wie konnten Menschen guten Herzens solche Unmenschen wie Reynald und seinesgleichen dulden! Da war der heilige Ludwig gewesen - es hatte keinen besseren Mann gegeben. Doch der größte von allen war Balduin IV. von Jerusalem gewesen. Als sein Körper von der Lepra zerfressen war, als er keine Füße mehr hatte und seine Augen blind geworden waren, ließ er sich ein letztes Mal in die Schlacht gegen Saladin tragen, den er immer wieder besiegt hatte.
    »Wir ritten zur Schlacht in der Wüste« (hatte jener Graf Volkmar

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