Die Quelle
geschrieben, der dann bei den Hörnern von Hattin gefallen war) »und König Balduins Purpurzelt zog mit uns. Als der Feind dieses Zelt abermals sah, floh er und blieb fort. Ich ging zu dem aussätzigen König, um ihm von seinem neuesten Sieg zu berichten. Er wandte mir seine blicklosen Augen zu und dankte mir, und ich mußte fortgehen, sonst hätte er mich weinen gehört, denn ich hatte vergessen, daß er noch ein Jüngling war, zwanzig Jahre alt.«
Warum haben sie dahingehen müssen, die Großen, und warum sind die Minderen geblieben? Balduin der Aussätzige war allzu jung gestorben, und eine Kreatur wie Reynald von Chatillon hatte sich um seinen Thron bewerben können. Frisches Blut aus Europa haben wir gebraucht, grübelte Volkmar, aber nie ist es gekommen. Sein eigenes Geschlecht war lebensstark geblieben, acht Grafen Volkmar nacheinander, und auch sein Sohn versprach ein echter Volkmar zu werden wie seine Ahnen. Aber vielleicht kam das daher, daß die Herren von Gretsch, Makor und Ma Cœur sich ihre Frauen fast immer von weit her geholt hatten. Seine eigene Gattin stammte aus der edlen Familie der Herren von Askalon, und seine Mutter war in Sizilien geboren. Wenn wir nach dem ersten Kreuzzug keinen Ritter mehr diesen Boden hätten betreten lassen und statt dessen Bauern und Handwerker geholt, wäre das Königreich unser geblieben. Trotz seiner düsteren Stimmung kam ihm plötzlich ein erheiternder Gedanke. Er lachte auf, die Hände auf Jesu Ruhebett gestützt: Noch besser wäre es gewesen, man hätte jährlich ein paar Dutzend Kuhmägde aus Deutschland und Frankreich holen sollen! Denn die Europäer, die keine Frauen aus der Heimat finden konnten, hatten achtlos in die Bevölkerung eingeheiratet, und jedes Mädchen, das vor einen Priester trat und sich taufen ließ, galt als Christin.
Volkmar schüttelte den Kopf. Nein - dieser Gedanke war seiner unwürdig. Denn Taleb, die Frau des ersten Grafen auf Makor, die Frau, die, ohne einen Augenblick zu zaudern, sich zum Kreuz bekehrt hatte, gerade sie war es gewesen, die der Familie die Grafschaft gerettet hatte. In der Chronik des Wezel von Trier stand zu lesen, was ihr Sohn dem alten Burgkaplan erzählt hatte:
»Während der langen Jahre, in denen ich im Kerker lag, ohne jemals das Sonnenlicht zu erblicken, bedeuteten mir zwei Menschen die ganze Welt, der Gefängniswärter, der mir mein Essen brachte, indem er es ohne ein Wort auf den steinernen Tisch warf, und meine Mutter, die, ich weiß nicht wie, durch alle Türen zu schlüpfen verstand. Einmal sah ich, wie der
Wärter sie küßte. Vielleicht war das die Münze, mit der sie bezahlte. Aber wie dem auch sei, sie kam, so oft sie Gunther ablenken konnte, und sie sprach mit mir. Wie einfach ist das doch gesagt, aber wie viel hat es mir bedeutet. Sie sprach mit mir. Im Gegensatz zu meinem Vater und zu Gunther konnte sie lesen. Sie sagte mir alles, was sie gelernt hatte, und das war mir mehr wert als die Nahrungsbissen, die sie in die Kerkerzelle schmuggelte. Ich denke stets an die drei Sätze, die sie jedesmal sagte: >Ich bin nicht guter Hoffnung.< Und: >Bald muß das Untier die Wahrheit einsehen.< Und: Volkmar, du wirst der Herr dieses Landes sein.< Wäre sie nicht gewesen, man hätte mich als schwachsinnigen Narren aus dem Kerker holen können.«
Dieser zweite Graf Volkmar hat später bezeugt, daß seine Mutter es gewesen war, die ihn während seiner langen Regierung beriet, wie er mit den Arabern verhandeln solle und wie er sein Lehen vergrößern könne, indem er sich Gebiete nahm, die in den Händen Unfähiger waren. Am Ende ihres Lebens jedoch hatte sie das ganze Land in helle Aufregung versetzt. Denn als der Priester sie auf dem Totenbett fragte, ob sie nicht glücklich sei, den Irrglauben Mohammeds aufgegeben und den wahren Glauben Christi angenommen zu haben, antwortete sie: »Ich habe an keinen von beiden geglaubt. Niemals. Beides ist Unsinn.« Und trotz der flehentlichen Bitten des Priesters und ihres Sohnes starb sie, ohne ihre Worte zu widerrufen. Kein Grabstein ehrte ihr Andenken in der Kapelle von Ma Cœur.
Niemals haben wir genug Menschen gehabt, grübelte Volkmar in Cefrequinne. Und er stellte sich die Landkarte vor. Die Küstenstädte von Antiochia bis Askalon haben wir besessen, die Städte jedoch, die uns wirkliche Macht in die Hand gegeben hätten, Städte wie Aleppo und Damaskus, die ließen wir in der Hand der Türken. Und jetzt sind die Mamelucken da. Aber selbst in dieser Lage tun wir
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