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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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kränklich, aber von edler Erscheinung, wenn er die Rüstung trug. Die alten Chronisten sind sich darin einig, daß er stets in der vordersten Front gefochten und seine Krieger mit wahrem Heldenmut geführt hat. Wenn ich ihn mir heute vorstelle, dachte Cullinane und blickte hinunter auf die Stadt Akko, in der König Ludwig fast fünf Jahre lang gelebt hat, so scheint er wirklich vollkommen gewesen zu sein. Man wird kaum einen Fehler an ihm entdecken. Kein Papst mußte über Ludwig den Bann verhängen, um ihn zu zwingen, einen Kreuzzug zu unternehmen. Als junger Mann wäre er beinahe an Malaria gestorben; als er glaubte, seine letzte Stunde sei gekommen, gelobte er einen Kreuzzug, wenn Gott ihn errette. Gott erhörte ihn. Sobald Ludwig wieder gesund war, zog er eine riesige Flotte zusammen, segelte im Jahre 1248 nach Ägypten und ins Heilige Land und regierte dort mit Würde und in echter Gläubigkeit. Ein Zauber von Poesie liegt um diese Gestalt. Cullinane glaubte den schlanken König in schimmernder Rüstung oder in wallenden Gewändern durch die engen Gassen schreiten zu sehen - den König, der von allen Männern seiner Zeit am eindrucksvollsten jene seltsame Krankheit verkörperte, die so viele Fromme an diese Küste getrieben hatte. Gerade deshalb aber war es kaum zu fassen, daß alles, was König Ludwig im Heiligen Land unternommen hatte, unglücklich ausgegangen war. Er tappte und taumelte seinen Weg von einer Katastrophe in die andere und opferte sinnlos Hunderte, Tausende und Abertausende der besten Krieger Europas. An einem Nachmittag der Schmach büßte er durch Unbedachtsamkeit ein so großes Heer ein, daß den Ägyptern gar nichts anderes übrig blieb, als die meisten seiner Ritter zu enthaupten, weil sie nicht wußten, was sie mit den vielen Gefangenen anfangen sollten. Später geriet er durch ein gröbliches Versehen selbst in Gefangenschaft, und sein zusammengeschmolzenes Kreuzheer mußte die gewaltige Summe von einer Million Besanten aufbringen, um ihn auszulösen. Er schickte ganze Ritterheere in den Tod wie ein ahnungsloser Leutnant seinen Zug Infanterie. Und am Ende war das Heilige Land dem Zusammenbruch nahe. Nie wieder hat es sich erholen können. Mehr noch: Bei seiner fieberhaften Suche nach Verbündeten geriet dieser fromme Christ ausgerechnet an die Assassinen, jene berüchtigte terroristische Moslem-Sekte. Mit seinen Zahlungen an diese Assassinen finanzierte er den Mord an seinen eigenen Leuten! Was Ludwig der Heilige auch tat - es war das Unheilvollste, was dem Heiligen Land widerfahren konnte. Trotzdem verehrten ihn seine Ritter als das leuchtende Vorbild eines christlichen und ritterlichen Königs. Wir wissen es aus ihren Briefen, in die Heimat geschrieben am Vorabend von Schlachten, in denen sie infolge seiner Unfähigkeit ihr Leben lassen mußten. Aus jedem dieser Briefe spricht die heilige Ergriffenheit, mit der Ludwig seine Ritter beseelte. Auch die Moslimin schätzten ihn als einen wahrhaft guten Menschen. Ihre Heerführer allerdings müssen gebetet haben, Allah möge ihnen Ludwig als Gegner gegenüberstellen und nicht einen wirklichen Feldherrn. Angesichts all dieser Katastrophen ergeben sich peinliche Fragen: Wenn dieser größte Diener Gottes immer wieder besiegt worden ist, auch dort, wo der Sieg sicher war - kann man dann ehrlichen Herzens behaupten, daß Gott auf der Seite der Christen stand? Man fragt es sich noch heute, dachte Cullinane. König Ludwig mußte schließlich Saint Jean d’Acre verlassen, ein geschlagener Mann, dem es nicht gelungen war, ein einziges seiner Vorhaben zu einem guten Ende zu führen. Aber er zog mit fliegenden Fahnen ab wie ein großer Sieger -der er in gewisser Hinsicht wohl auch gewesen ist. Jahre später, als alter Mann, fühlte er sich nochmals zu einem Kreuzzug aufgerufen. Wieder stellte er ein großes Heer auf. Eine unbegreifliche Geistesverwirrung ließ den König meinen, er könne Jerusalem nicht durch einen Angriff von Acre her befreien, sondern auf dem Weg über Nordafrika. In einem der traurigsten Unternehmen, die je im Wahn und aus Liebe zu Gott zustande gekommen sind, führte er seine ihm nur zögernd folgenden Ritter bei glühender Sommerhitze an die unwirtliche Küste Tunesiens. Zum Kampf ist es nicht mehr gekommen. Die Pest brach in der Flotte und im Heer aus. Gnädig erlöste der Tod diesen Heiligen, der noch im Sterben flüsterte: »Jerusalem, Jerusalem.« Trotz all seiner Mühen, trotz ungezählter Menschenopfer und trotz der

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