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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Grundmauern - der Schall trug es durch die Wände in alle Räume der Burg. Dieses Klopfen - es war nicht wie das laute Krachen des Steins, der das Dach der Burg durchschlug. Leise war es, aber es hörte nie auf, und heimtückisch war es wie der klopfende Schmerz in einem kranken Zahn. Kaum hören konnte man das Klopfen, und doch war es unüberhörbar. Wenn der Graf seine Frau besorgt ansah, sagte sie nichts, kein Wort der Angst. Aber in ihren Augen sah er die Wirkung des Klopfens, als sei es von ihren Füßen und durch den Sessel bis in ihren Kopf gedrungen. Dieses unaufhörliche Klopfen. Als es eines Morgens eine Zeitlang aufhörte, sahen sich die Kreuzfahrer erschreckt an und beruhigten sich erst wieder, als es leise, geräuschlos fast und doch zermürbend hörbar, erneut einsetzte.
    Bisher hatten die großen Steine der Wurfmaschinen die Kuppel der Burgkapelle noch nicht zerschlagen. Hier in der Kapelle verbrachte die Gräfin mit den anderen Frauen den größten Teil des Tages. Hier dachten sie über die Irrtümer und Fehler der Männer nach, die diese verzweifelte Lage heraufbeschworen hatten. Hier grübelten sie, was wohl die letzten Stunden der Belagerung für sie alle bringen würden, denn niemand hoffte mehr auf ein Entkommen: Das Klopfen war zu deutlich und zu nah. Die Gräfin ging aus der Kapelle zu den Verwundeten, um für sie zu sorgen, und immer wieder überlegte sie: Es hätte nichts genützt, wenn ich den Herrn einer anderen Burg geheiratet hätte. Sie alle sind verurteilt. Aber ich wünschte, wir hätten Volkmar nach Deutschland geschickt. Der Knabe stand weniger als die anderen unter dem ständigen seelischen Druck des Klopfens. Eifrig lief er von Turm zu Turm, von einer Gruppe Kämpfender zur anderen. Überall ging es jetzt darum, die riesigen hölzernen Wandeltürme zurückzuhalten, die sich wie von selbst heranschoben und nun fast schon die Außenseite der Mauer berührten. Mehrmals in den letzten Wochen waren Männer unmittelbar neben dem jungen Volkmar gefallen, und er mußte wissen, daß die Burg verloren war. Aber er zeigte keine Furcht. Für ihn wie für seinen Vater war das Beste an jedem dieser Tage die Stunde der Mitternacht, wenn sie zusammen hinaufstiegen, um das Feuer zu entzünden, das zuerst immer nur einen schwachen Schein gab, dann aber das Land in ein geisterhaftes Licht tauchte, in dem man die Zelte der Mamelucken im Olivenhain und die Hügel Galilaeas sehen konnte.
    Am Ende der fünften Woche stellten die Belagerer ihre Angriffe ein und zeigten noch einmal die drei weißen Fahnen. Der Feldherr mit dem roten Gesicht nahm allerdings nicht an der Verhandlung teil. Er hatte den Hauptmann von Safet geschickt, der nur dies sagte: »Der Stollen unter Eurem Tor ist fertig für das Gestrüpp. Ergebt Ihr Euch jetzt?«
    »Versprecht Ihr allen sicheres Geleit nach Acre?«
    »Eurer Familie und vieren«, erwiderte der Hauptmann mit der Narbe. »Die anderen werden als Sklaven verkauft!«
    »Nein.«
    Unverzüglich kehrten die Unterhändler um, ohne sich damit zu brüsten, wie schnell die Burg fallen werde. Noch in der gleichen Nacht wurde in der Höhle das Feuer angezündet, und nachdem die Stützbalken niedergebrannt waren, neigten sich die Tortürme nach außen, barsten und stürzten. Die Kreuzfahrer zogen sich in den mittleren Turm zurück, während die Mamelucken in unbeirrbarer Zielbewußtheit ihre Sklaven abermals mit den noch warmen Steinen eine Straße bauen ließen und die Kriegsmaschinen in neue Stellungen brachten, bis die Gesichter unter den Turbanen fast in die schmalen Fenster des Turms blicken konnten. Die Verteidiger hatten zwei Zisternen und das meiste Vieh verloren, aber sie hatten noch den Davidsstollen, und der Bergfried enthielt genug Nahrung, sie für Monate hinaus am Leben zu erhalten, falls doch noch auf wunderbare Weise über das Mittelmeer Hilfe kommen sollte. Aber es kamen keine Schiffe; mit dem Pöbel aus Italien war die letzte Welle der Kreuzzugsbewegung verebbt. Und die Italiener hatten nur Unheil angerichtet und keine Hilfe gebracht. Der Beginn der sechsten Woche war für die Verteidiger von Ma Cœur der Beginn der letzten Phase ihres Kampfes; Männer und Frauen suchten in den mächtigen Mauern des Bergfrieds Schutz, aber es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Maschinen der Mamelucken auch vor einem seiner Zugänge standen. Die Mohammedaner waren sich ihres Sieges jetzt so sicher, daß sie nicht einmal mehr einen Stollen bauten. Die letzte Bastion von Ma Cœur

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