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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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anhand der Straße, die den Hügel hinauf zum Tor geführt hatte. Musaffar ließ seine Karawane einen Augenblick halten, neigte sich im ehrenden Angedenken an den Ritter, dem er sein Leben verdankte. »Arme Menschen«, flüsterte er, als er sein Gebet beendet hatte. »Sie wußten nichts von dem Land, das sie besetzt hielten, und deshalb haben sie hohe Mauern gebaut, um die Vernunft fernzuhalten.« Und er zog westwärts, in Richtung auf das zerstörte Acre, wo keine Glocke mehr läutete und der Hafen verschlammte. Im Sommer blies der sengende Chamsin von den jetzt kahlen Bergen feinen Staub über die Ebenen, der in die Spalten drang und die letzten Trümmer nach und nach zudeckte. Im Jahre 1350, ein halbes Jahrhundert nach dem Fall der Burg, konnte man noch zahlreiche Steine sehen, und die Hirten erinnerten sich, daß dort einmal eine Burg gestanden hatte. Um 1400 jedoch - ein Jahrhundert nach der Zerstörung -waren nur noch ein paar Steine zu erkennen, und die Leute wußten nicht mehr, wozu sie einmal gehört hatten.
    Als die einzigen Lebewesen von Makor - der französische Name war vergessen und mit dem letzten Volkmar in die Geschichte eingegangen - hausten jetzt hier die Schakale, die bei Vollmond ihr durchdringendes Heulen hören ließen. Vögel flogen über den Hügel und nisteten manchmal auf den letzten der weißen Steintrümmer, die verstreut in den Sanddünen lagen. Schlangen und Kröten kamen herauf aus den malariaverseuchten Sümpfen, die jetzt die Stelle der bewässerten Felder unterhalb des Hügels einnahmen, wo zwölftausend Jahre lang reichlich Nahrung für die Bewohner von Makor gewachsen war. Und es gab ein paar Nagetiere, die den nun wieder wild wachsenden Weizen fraßen.
    Bis 1450 hatte der Wind so viel Erde herbeigetragen, daß auch das letzte Anzeichen einer menschlichen Siedlung verdeckt war. Es gab niemanden mehr, der sich an den Namen des Ortes zu erinnern vermochte. Nur ein Hügel war da, der sich zu Füßen der Berge Galilaeas erhob; Gras und Blumen wuchsen darauf, und drei- oder viermal im Jahr zog eine Kamelkarawane von Damaskus nach Akka vorüber, das nun ein armseliges Hafenstädtchen war, in nichts unterschieden von den anderen Städtchen an der einst so herrlichen Küste Phöniziens. Im Jahr 1500 war der Hügel höher und das Dunkel um sein Werden noch dichter geworden. Damals gab es wahrscheinlich keinen einzigen Menschen mehr, der wußte, daß es einmal eine Stadt Makor gegeben hatte. Die Winde bliesen von der Wüste her. Der Tell wuchs Zentimeter um Zentimeter. Einsamkeit war um ihn - immer mehr Einsamkeit. Still schlief der Hügel in der Sonne, und tief in ihm verborgen lag die Quelle, die mehr als zehntausend Jahre so viel Leben gespendet hatte. Ihre Wasser versickerten in unterirdischen Rinnsalen hin zu dem Sumpf, der sich Jahr um Jahr weiter über die längst nicht mehr fruchtbaren Felder ausdehnte. Wie groß war die Öde, wie völlig zerstört die einstige Pracht. Selbst die Vögel kamen nicht mehr, denn das Gras, das in Jahrhunderten gewachsen war, verdorrte in der trockenen Luft - der Hügel war ein Teil der Wüste geworden. Dieses Land des Reichtums und der Obstgärten. Dieses Land, in dem die Bienen süßen Honig machten, noch ehe die Bibel geschrieben war. Dieses weite, herrliche Land, das des Mannes Herz besänftigte und sein Weib singen ließ. Diese heiligen Täler, in denen der Mensch um sein Bild Gottes gerungen hatte und mit Gott selbst. Diese wunderbaren Berge, wo die Zeichen Baals gestanden und die schönen Mädchen nackt getanzt hatten - all das schlief unter dem Staub. Welch ein Widersinn: Die Sümpfe breiteten sich immer mehr aus und hielten das Wasser in sich fest, während gleichzeitig das Land ringsum sich in Wüste verwandelte, weil es nicht genug Wasser hatte. Manchmal zog ein Stamm von Beduinen vorüber, brachte sinnlos die wenigen Bauern um, die versucht hatten, neues Leben im Boden zu wecken, und verschwand wieder. Ihr Kommen war ohne Bedeutung, und ihr Verschwinden blieb unbemerkt. Tiefe Trauer lag über dem Land.
    Dann aber, im frühen sechzehnten Jahrhundert, kamen einige Männer mit ihren Familien von fernen Küsten des Mittelmeeres hierher zurück. Juden waren es, und sie kamen nicht nach Makor, woher sie stammten, von dessen Existenz sie jedoch nichts wußten.
    Sie kamen nach Safed, siebzehn Meilen östlich vom Tell Makor. Eine neue Zeit begann und ein neuer Kreislauf, der später auch Makor wieder einbeziehen sollte.

Schicht III
    Die heiligen

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