Die Quelle
Staat als dem weltlichen Arm des Glaubens übergeben wurden mit dem Ersuchen, man möge sie freundlich behandeln und kein Blut vergießen.
Die Schergen der weltlichen Gerichtsbarkeit führten die Verurteilten in einen anderen Stadtteil ab. Hoch aufgeschichtet standen hier die Scheiterhaufen. Auf dem Weg dorthin aber schmähte der Pöbel die Gefangenen, bewarf sie mit Unrat und verfluchte sie. Die des Judentums Verdächtigen mußten durch eine Hölle besonderer Art gehen, denn sie wurden mit besonderem Hohn gequält: Hatten sie nicht Gott gekannt und Ihm den Rücken gekehrt? Hatten sie nicht Jesus Christus ans Kreuz geschlagen? Sie waren schlimmer als die Schweine, deren Fleisch zu essen sie sich weigerten. Und bei jedem Schritt, den der als Jude Verdächtigte tat, schrie ein Frater von links und einer von rechts auf ihn ein: »Jude, gib zu, daß dein Glauben falsch ist. Gib zu, daß Gott Dreieinig ist und nicht nur Einer.« Für viele Juden war diese Verunglimpfung des Glaubens ihrer Väter auf dem Weg in den Tod schlimmer als der Hohn der Menge. Dann war er erreicht, der Platz der Verbrennung. Mit dem Prickeln der Erwartung dessen, was ihnen als Schauspiel bevorstand, sahen die Bürger von Avaro zu, wie Diego Ximeno den Scheiterhaufen bestieg. Schweigend, in strengem Ernst, tat er es, jedes helfende Zugreifen lehnte er ab, und die Bitten der ihn begleitenden Fratres, er solle sich wenigstens die Pein des Flammentods ersparen, wies er schweigend zurück. Unter dem Scheiterhaufen warteten Schreiber mit Feder und Buch, bereit, sogleich zu protokollieren, was er in seiner Qual aus sich herausschreien werde. Dies schien wichtig, denn in der Stadt gab es viele, die da glaubten, Ximeno sei gar kein Jude - und ein solcher Glaube konnte peinlich werden, wenn er einen Märtyrer schuf. Die Flammen loderten auf, hüllten Ximeno ein, züngelten um seinen Hals. Diego Ximeno schwieg - er schwieg mit der gleichen eisernen Selbstbeherrschung wie in der Folterkammer. Er starb schweigend. Und schon raunten solche, die ihn gut gekannt hatten: »Er war gar kein Jude. Er war ein Heiliger!« - schon bahnte sich eine Seligsprechung an, sehr zum Ärger der Inquisition, die wahrlich völlig anderes beabsichtigt hatte.
Von all den Zuschauern bei Diego Ximenos Verbrennung war niemand von größerer Besorgnis erfüllt als Doctor Abulafia, ein hervorragender Arzt. Seine jüdischen Vorfahren waren im Jahre 1391 zum Christentum übergetreten. Er selbst, verheiratet mit einer christlichen Dame makelloser Herkunft, galt als guter Christ und erfreute sich größten Ansehens in der Stadt. Er aß Schweinefleisch, war nicht beschnitten - auch seine Söhne waren es nicht -, und niemals, nicht einmal während des schlimmsten Wütens der Inquisition, hatte man ihn je verdächtigt, er sei Jude. Und als im Jahre 1540 jene Liste mit den Merkmalen der heimlichen Juden verteilt wurde, war einer von Doctor Abulafias Bekannten im Scherz sie Punkt für Punkt mit ihm durchgegangen und hatte gesagt: »Euch, lieber Doctor, kann keiner als Juden anzeigen.« Nicht einmal seine Freunde hatten daran gedacht, ihn den Inquisitoren zu melden. Er war ein Mann ohne Fehl und Tadel. Schaudernd hatte er auf dem Platz gestanden und die Anklage gegen seinen früheren Patienten Diego Ximeno gehört. Und während der Prozession zur Verbrennungsstätte hatte er sich zweimal dort aufgestellt, wo der Verurteilte nahe vorüberkommen mußte; Ximeno jedoch, in einer Art tödlicher Traumbefangenheit, hatte starr geradeaus geblickt und den Arzt nicht sehen wollen. Als Ximeno auf den Scheiterhaufen stieg, war Doctor Abulafia zu den Schreibern getreten, die gierig warteten, was der Verbrennende sagen werde. Aber wiederum hatte sich nichts ereignet. Doch im letzten Augenblick, als Ximenos Haar in Flammen stand und seine Haut verkohlte, warf er einen durchdringenden Blick auf Doctor Abulafia, und durch das lodernde Feuer hindurch trafen sich ihre Augen. Als die Scheiterhaufen niedergebrannt waren - nichts blieb von ihnen als Asche und fettig verrußte Eisenketten -, ging Abulafia in tiefem Sinnen nach Hause. Zu Hause fragte Dona Maria: »Warum bist du so blaß?« Er antwortete: »Ich habe gerade gesehen, wie Diego verbrannt worden ist.« Seine Frau meinte darauf: »Er muß schuldig gewesen sein. Über diese Dinge sollten wir uns keine Gedanken machen.«
Abulafia war außerstande, zu Abend zu essen, und wünschte auch nicht mit seinen beiden Söhnen zu spielen. Er begab sich in sein
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